Nie Wirst Du Entkommen
gewusst, dass Tess ebenfalls mit uns kommen wollte. Es war schwer, ihr etwas anderes zu beweisen. Sie wirkte entsetzt und kümmerte sich danach rührend um Tess.«
Gina stieß sich von der Tischkante ab. »Vito, was du da andeutest, ist ungeheuerlich.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und begann, wütend auf und ab zu laufen. Dann blieb sie plötzlich wie angewurzelt vor der Tafel stehen. »Was ist denn das?«, fragte sie heiser.
Aidan stand auf und trat neben sie an die Tafel. Ihre Hand zitterte, als sie zögernd auf einen Gesellschaftsnamen tippte. Deering. Die Hauptfirma.
»Diesen Namen. Den kenne ich.« Sie wandte sich zu Vito um, und in ihren Augen war entsetztes Begreifen zu lesen. »Das war der Kunde, der die Frau engagiert hat.«
Die Frau.
Die Erkenntnis traf Aidan wie ein Schlag, als Vito auf die Füße sprang. Amy. Das Missverständnis, aufgrund dessen sich Tess und ihr Vater entfremdet hatten, war gar keines gewesen. Kein Versehen. Heißer Zorn wallte in seinem Inneren auf.
»Welche Frau?«, wollte Murphy wissen.
Aidan erzählte es ihm in knappen Worten.
»Dieses Biest hat unsere Familie auseinandergerissen«, knurrte Vito. »Das glaube ich einfach nicht. Amy wollte Tess aus dem Weg schaffen, also hat sie Dad eine Falle gestellt.«
»Während sie Thanksgiving zu uns kam und sich auf Tess’ Platz setzte.« Ginas Augen füllten sich mit Tränen.
»Und fünf Jahre lang hat es funktioniert.« Aidan rieb sich müde den Nacken.
»Phillip Parks«, sagte Murphy hinter ihm, und Aidan verstand.
»Amy war die andere.«
Murphy nickte. »Hätten wir Parks befragt, hätte er es uns vielleicht gesagt.«
Aidan sank auf seinen Stuhl. »Sie versucht seit Jahren, systematisch Tess’ Leben zu ruinieren.«
»Warum hat Amys Mutter eigentlich Selbstmord begangen?«, fragte Spinnelli.
»Sie litt unter paranoider Schizophrenie.« Gina zitterte nun unkontrolliert. »Wir haben Amy immer genau beobachtet. Wir wussten, dass so etwas vererbbar ist, aber sie erschien uns immer normal und glücklich. Wir wollten ihr keine Angst machen, also sagten wir ihr auch nichts davon.«
Vito schloss die Augen. »Gott.«
»Wusste Tess davon?«, fragte Aidan, und Gina schüttelte den Kopf.
»Es war der Wunsch von Amys Vater, dass niemand es erfahren sollte. Also behielten wir es für uns.«
Das Telefon im Konferenzraum klingelte, und Murphy nahm ab. »Danke«, sagte er und legte wieder auf. »Patrick sagt, er kommt mit dem Durchsuchungsbefehl zu Millers Wohnung. Los geht’s.«
Freitag, 17. März, 18.45 Uhr
Manchmal war der direkte Ansatz der beste. Ein kräftiges Klopfen an der Tür, und ein Mann öffnete. Der Freund … wie hieß er noch? Ach ja, Keith. Details waren wichtig. Aber dieser Freund war im Augenblick unwichtig. Joanna Carmichael war gefordert. »Kann ich Ihnen helfen«, sagte er im gedehnten Südstaatentonfall.
»Ich wollte mit Miss Carmichael über ihre laufende Recherche sprechen.«
Keith presste die Kiefer zusammen. »Oh«, sagte er tonlos. »Tja, sie ist im Augenblick nicht zu Hause. Da müssen Sie später wiederkommen.« Er wollte die Tür schließen, verharrte jedoch schockiert, als er in den schallgedämpften Pistolenlauf starrte.
»Na, na, wo bleibt denn die viel gepriesene Gastfreundschaft der Südstaatler? Bitten Sie mich hinein.«
Er wich zurück, doch in verdächtiger Haltung mit den Händen im Rücken, und sie sah den kleinen Tisch hinter ihm. Er bewegte sich schnell, aber nicht schnell genug. Er ging in die Knie, noch bevor er die Waffe aus der Schublade auf sie richten konnte, und schon sickerte rotes Blut durch sein gestärktes weißes Hemd. Nun, das war nicht zu ändern. Er war ein toter Mann gewesen, kaum dass er die Tür geöffnet hatte. Er hatte das Ganze einfach beschleunigt, indem auch er eine Waffe gezogen hatte. Selbst Schuld.
Wahrscheinlich hätte er ohnehin nicht den Mut gehabt, das Ding zu benutzen. Er fiel nach vorn, und die Pistole rutschte aus seinen Händen und plumpste harmlos auf den Teppich. Das würde ein hübsches Andenken abgeben. Die Wohnungen hier waren der von Cynthia Adams, zehn Etagen höher, recht ähnlich. Carmichael würde bald kommen. Der Schrank war der geeignete Ort –
Das Krachen von Keiths Waffe zerriss die Luft, als der Schmerz sie auch schon heiß und scharf durchdrang. Dem Schmerz folgte der Schock.
Er hat mich angeschossen. Mein Arm.
Er stützte sich auf den Ellenbogen und hielt die Waffe unsicher in beiden Händen. Ein grimmiges Lächeln
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