Nie wirst du vergessen
Hand hatte, drehte sich zu Zachary um. „Dir geht es um die Frau,
nicht um ihren Fall, stimmt's, Zachary? Deshalb hast du diese Sache übernommen.
Die Frau ist dir nicht gleichgültig."
„Das ist einer der Gründe", erwiderte Zachary
gelassen.
„Und der andere?"
„Es wird höchste Zeit, dass ich mich wieder ein
bisschen mehr um die Kanzlei kümmere."
Das nahm Joshua ihm nicht ab. „Da bin ich ja direkt
gespannt."
Lauren machte ihre Aktentasche zu und warf einen Blick
auf die Uhr. Schon halb sieben. Die meisten Angestellten hatten die Bank
bereits verlassen, und auch Lauren brannte darauf, nach Hause zu kommen. Vielleicht
hatte jemand auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht bezüglich ihrer Kinder
hinterlassen.
Plötzlich meldete sich die Sekretärin. „Mrs. Regis,
Mr. West möchte Sie sprechen", sagte sie.
Lauren schnappte nach Luft. „Wann?"
„In zehn Minuten, wenn es Ihnen möglich ist."
„Ich komme", erwiderte Lauren kurz und beendete das
Gespräch. Also hatte auch der Bankpräsident das Fernsehinterview gesehen oder
davon gehört.
Wahrscheinlich wusste er auch, dass sie Zachary Winters
mit ihrem Fall beauftragt hatte. Und Winters war der Partner von Joshua Täte,
der die Bank als Rechtsbeistand der Masons auf zwei Millionen Dollar verklagte.
Mit klopfendem Herzen zog sie ihre Kostümjacke an,
lief zum Fahrstuhl und drückte auf den Knopf für das elfte Stockwerk, die
Chefetage.
George Wests Sekretärin, eine tüchtige Frau Mitte
vierzig, führte Lauren in das große Eckbüro des Bankpräsidenten. Durch die
hohen Fenster sah man die westliche Hügelkette Portlands, wo sich hinter dunklen
Tannen und Ahornbäumen die teuersten Villen der Stadt verbargen. Im Vordergrund
erhoben sich moderne Wolkenkratzer, neugotische Kirchtürme und vornehme alte
Hotels.
George West saß an seinem riesigen Schreibtisch. Ein
schwerer, cremefarbener Teppich verschluckte Laurens Schritte. An den
getäfelten Wänden hingen goldene Ehrenplaketten, die West für seine Verdienste
um die Stadt erhalten hatte.
„Bitte setzen Sie sich, Lauren", sagte George
West und erhob sich einen Moment. Lauren nahm Platz, und George West musterte
sie lange mit seinen klugen Augen, die seit zweiundsechzig Jahren das Leben
aus dem Blickwinkel der Superreichen betrachteten. Er war mit dem
sprichwörtlichen Silberlöffel im Mund geboren worden und hatte das
beträchtliche Familienvermögen durch geschickte Geldanlagen verdreifacht. Er
kam gleich zur Sache.
„Ich hörte, dass Sie gestern im Fernsehen waren. Die
Sendung heißt ,Eye Contact', glaube ich."
„Ja."
„Ich habe sie nicht gesehen. Ned Browning erzählte
mir davon."
Ned Browning war der Vizepräsident und Personalchef
der Bank. Lauren wurde unbehaglich zumute, als sich bewahrheitete, dass man an
höchster Stelle bereits über sie und die Sendung gesprochen hatte. Sie wartete
nervös, was kommen würde.
„Ich hatte keine Ahnung, was sich zwischen Ihnen und
Ihrem Mann abgespielt hat, Lauren", fuhr George West fort. „Natürlich weiß
ich, dass Ihre Kinder nicht bei Ihnen leben. Aber ich nahm an, dass Ihr Mann
das Sorgerecht bekommen hatte. Das Ganze ist eine sehr hässliche
Geschichte."
Ja." Lauren wünschte sich, dass sie endlich gehen
könnte. Unruhig rutschte sie auf dem Sitz hin und her. Doch sie nahm sich
zusammen, denn noch war West nicht damit herausgerückt, was er eigentlich von
ihr wollte.
„Browning
sagte, dass Sie einige Anwälte und einen Privatdetektiv mit Ihrem Fall betraut
hätten."
„Das stimmt. Zuerst war Tyrone Robbins für mich tätig,
dann Patrick Evans."
„Und was ist dabei herausgekommen?"
„Nichts. Bis jetzt jedenfalls noch nicht."
„Konnte Ihnen auch Patrick Evans nicht helfen?",
fragte West erstaunt.
„Nein."
„Und jetzt haben Sie Zachary Winters beauftragt?"
Lauren nickte.
Ungeduldig trommelte West mit den Fingern auf die
Schreibtischplatte. „Hat Winters Ihnen zu dem Fernsehinterview geraten?"
Vorsichtig antwortete Lauren: „Nein. Zu diesem
Zeitpunkt hatte er meinen Fall noch gar nicht angenommen."
„Übernahm er ihn erst danach?"
Ja."
„Ihnen ist doch bekannt, dass die Anwaltskanzlei
Winters & Täte die Mason-Erben vertritt."
„Das habe ich erst heute Morgen erfahren. Bob Harding
sagte es mir. Er brachte mir auch alle Unterlagen, aus denen eindeutig
hervorgeht, dass Winters in keiner Weise mit der Treuhandsache zu tun hat. Er
vertritt einzig und allein meinen Fall."
George West machte eine wegwerfende Handbewegung.
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