Niederschlag - ein Wyatt-Roman
Holzstücken, Glas, Fensterrahmen aus Aluminium, Rohren, Schläuchen und leeren Farbtöpfen. Den ganzen Morgen über fuhren Lieferwagen, kleinere LKW und Pick-ups hin und her. Sie waren verdreckt, verrostet, verbeult und spuckten Abgaswolken in die Atmosphäre. Wyatt vermutete, dass einige dieser Fahrzeuge über Nacht eingeschlossen würden.
Er sah die Zeit gekommen, Fragen und Antworten zu formulieren. Gegen Mittag schlenderte er zu einer Cafeteria, kaufte ein Sandwich und erkundete die Umgebung des Universitätsgeländes, prägte sich StraÃen und Gebäude ein. Der Campus selbst verbreitete eine Atmosphäre heruntergekommener, proletarischer Einfalt. Hier rechnete man nicht mit Ãberfällen, Einbrüchen oder Raubzügen jeglicher Art, sondern nur mit kleineren Diebstählen in den Läden der Studentenvereinigung oder in der Bibliothek.
Gegen zwei Uhr saà Wyatt auf einer anderen Bank an einer anderen Stelle der Rasenfläche. Er beobachtete, las Zeitung und schlenderte ab und an hinüber zur Herrentoilette im Kellergeschoss der Bibliothek. In der Zeitung stand das Neueste über Steers Gefängnisausbruch. Wyatt hatte bereits auf der Fähre von der Geschichte erfahren, aus einer herrenlosen Ausgabe des Mercury. Inzwischen sei ein Mann, auf den Steers Beschreibung zutreffe, im Zuge einer polizeilichen StraÃensperre im Western District verschwunden. Wyatt beschäftigte diese Angelegenheit nur insofern, als er wusste, dass Steer, egal, wo er untertauchte, schwer zu finden wäre. Er war mit Steer ausgebildet worden und konnte dessen Fähigkeiten bestätigen.
ZWEIUNDZWANZIG
Neunzig Minuten nach Steers Ausbruch waren sie wieder zurück gewesen in dem Haus in Warrandyte. Die Fahrt durch die Dunkelheit über den Hume Freeway hatte sich für Raymond als reinste Tortur erwiesen. Er hatte nichts mit der Meickle gemein und sie hatte kein anderes Thema als Steer beim Wickel gehabt, hatte nur darüber lamentiert, dass sie für Steer alles aufgegeben habe, dass sie bereit sei, mit ihm durch Dick und Dünn zu gehen, also, was war jetzt los? Wohin wollte er? Warum hatte er sich aus dem Staub gemacht? Wohin fuhr er? Wann würde er zurück sein? Würde er überhaupt zurückkommen? Und so weiter und so weiter.
Sie hatten den Wagen hinter dem Haus abgestellt und waren hineingegangen. Drinnen hatte sie Raymonds Arm umklammert.
»Er wird doch zurückkommen, nicht wahr, Ray?«
Raymond hatte sie abgeschüttelt. »Woher zum Teufel soll ich das wissen? Ich geh ins Bett.«
Warte mit Denise, bis ich zurück bin, so hatte Steers Anweisung gelautet. So viel war klar: Raymond bekam sein Geld für genau diesen Job.
Der nächste Tag war die Hölle gewesen, den ganzen Tag Regen, und jetzt brach ein neuer Tag heran und alles ging von vorn los, sie hockten aufeinander und hatten kein anderes Gesprächsthema als Steer. Nachdem sie sich fast zwei Tage die Augen aus dem Kopf geheult hatte, war das Gesicht der Meickle rosafarben und verquollen. Sie sieht aus wie ein kleiner, nackter Albinohund, dachte Raymond.
»Ich habe meine Karriere für ihn aufgegeben«, begann sie.
Raymond blätterte im Magazin des Jaguar Car Club. Keine Ahnung, weshalb er Mitglied geworden war. Okay, wenn man ein Tweedsakko tragen, eine Spritztour durch die Dandenong Ranges machen und irgendwo ein Picknick veranstalten wollte, um sich anschlieÃend für das Magazin ablichten zu lassen. Okay, wenn man sich von irgendeinem Sozial-Heini langweilen lassen wollte. Okay, wenn man eine in locker-flockiger Art verfasste Schritt-für-Schritt-Beschreibung des Ãlwechsels bei einem 68er der S-Klasse lesen wollte. Raymond gähnte ausgiebig. Die Sonne fiel durch die Glasfront. Er hatte gut geschlafen, hatte Toast und Kaffee gehabt, jetzt saà er hier und es war gerade mal neun Uhr morgens. Lange Stunden lagen vor ihm wie eine Strafe. Nicht mal jemanden anrufen konnte man; solange die Leute hier abwesend waren, war das Telefon abgestellt. Raymond besaà Geduld genug, für einen oder mehrere Tage eine Bank auszuspionieren, kein Problem, aber er hatte keine Ahnung, ob es ihm gelänge, noch länger hier herumzusitzen. Eine Bank zu beobachten war etwas anderes. Man hatte ein Ziel vor Augen, etwas, worauf man hinarbeitete. Hier jedoch hing alles in der Luft.
»Vielleicht warten wir umsonst«, sagte Denise. »Vielleicht hat er mich nur benutzt.«
Raymond
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