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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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abgeschabte Bergkleidung störte den Gesamteindruck. Die gekräuselten Zöpfe fielen ihr bis auf die Schultern, ihr Gesicht war ebenmäßig, sie war knapp an der Grenze zur Schönheit.
    »Jaja, der Bergtod ist schon nicht der schlechteste Tod«, sagte der Laiblbauer Kaspar. »Hast du die Bilder schon der Polizei gezeigt?«
    »Ja, das habe ich«, sagte der Melchior schüchtern. »Aber die haben gesagt, dass sie ihre eigenen Fotografen haben.«
    Einer in der Bäckerei Krusti war der Meinung, dass sie etwas
Slawisches
hätte, die Madonna. Solche Frauen hätte er in Prag und Budapest häufig gesehen, ein anderer hielt dagegen, dass sie doch im Gegenteil ganz typisch
deutsch
aussähe, nämlich kantig und knochig. Ein dritter zweifelte wiederum an der europäischen Herkunft. Da wäre etwas
Indianisches
dabei, da sei er sich ganz sicher. Er hätte letztes Jahr in Mexiko Urlaub gemacht, übrigens recht preisgünstig, hin und zurück, drei Wochen alles in allem, für knapp – da müsste er jetzt nachschauen, aber die Frau auf dem Foto hätte auf jeden Fall etwas Indianisches, Mexikanisches.
    »Aber das ist doch die Raab Josepha!«
    Jetzt wurden diejenigen Personen identifiziert und kommentiert, die sonst noch auf den Bildern zu sehen waren, sei es unten auf der Greininger-Wiese, sei es oben in der Greininger-Wand. Denn Melchior Baudinger hatte auch die Zuschauer fotografiert.
     
    »Und da schau her! Das muss unser Polizist, der Johann Ostler sein.«
    »Der Hansi, ja! Den kenne ich noch als Buben. Ein richtiger Lausbub war das. Das hätte damals niemand gedacht, dass der einmal Polizist wird.«
    »Und da, da ist der Kommissar Jennerwein.« Der Drogist betrachtete ein Bild, auf dem Jennerwein mit einer Winde heruntergelassen wurde.
    »Da bist du aber hübsch nah hingekommen, Melchior. Respekt!«
    »Der Jennerwein ist schon ein tüchtiger Mann«, fuhr der Drogist fort. »Da kannst du sagen, was du willst, Harrigl.«
    »Ja, und wo ist er denn jetzt, dein heißgeliebter Jennerwein?«, fragte Harrigl. »Siehst du ihn draußen auf der Straße vorbeigehen mit einem Täter, den er der irdischen Gerechtigkeit zuführt?«
    Toni Harrigl stieg schon wieder der Zorn hoch, denn das Interesse an ihm hatte nachgelassen wegen den saudummen Fotos von diesem Dorftrottel. Die meisten der Bäckereibesucher konnten sich der Faszination des Todes, die von dieser Frau ausging, nicht entziehen.
     
    »Und was sagt dann deine Mutter dazu, Melchior?«, sagte die Drogistin von gegenüber. »Dass du solche grausligen Fotos machst? Anstatt im Laden zu helfen?«

25
    Tatüü tataa !
    Polizeieinsatzjodler
    Frau Doktor Schmalfuß dozierte. Das gleichförmige Kratzen und Knirschen des Löffels an der Innenseite ihrer Kaffeetasse war die meditative Hintergrundmusik für ihre psychologischen Ausführungen. Seit sie Kardamom in ihren Kaffee gab, klang das Kratzen noch meditativer, noch analytischer.
    »Nach den Theorien des alten Professor Selye gerät das Opfer bei solch einer traumatischen Situation zuerst in einen archaischen Alarmzustand: Kampf oder Flucht? – das ist hier die Frage, seit ein paar Millionen Jahren schon. Wenn alle Kortisone und Hydrokortisone ausgeschüttet sind, dann kommt die zweite, die sogenannte Widerstandsphase, in der Lösungen gesucht, geprüft und verworfen werden. Sie endet in der dritten, in der Erschöpfungsphase.«
    »Verwirrung – Rebellion – Resignation«, stellte Nicole fest. »Das klingt ja nicht besonders hoffnungsvoll. Eher wie ein klassisches Drama: Exposition – Peripetie – Katastrophe.«
     
    Kommissar Jennerwein trat ins Besprechungszimmer. Er warf einen Schnellhefter auf den Tisch und beendete damit alle literaturwissenschaftlichen Erörterungen.
    »Hab ich es mir doch gedacht!«, rief er. »Es gibt keine Fingerabdrücke auf dem Rosenkranz. Unser braver Becker hat jedoch Hautreste gefunden. Darüber hinaus stimmt die DNA nicht mit der des Opfers überein.«
    »Der Täter wird doch nicht so dumm sein, dem Opfer seinen eigenen Rosenkranz in den Rucksack zu stecken«, sagte Ostler. »Nachdem er sich solche Mühe gegeben hat, alle anderen Spuren zu beseitigen.«
    »Ja, das glaube ich auch. Es gibt übrigens durchaus Fingerabdrücke. An der Außenseite des Kästchens. Die Frau muss das Kästchen geöffnet haben, sie hat dann mit einem Blick gesehen, dass der Inhalt für einen Rettungsversuch unbrauchbar ist, und hat die Schatulle wieder in den Rucksack gesteckt.«
    »Sollten wir nicht sicherheitshalber einen

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