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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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näheren Umgebung vor.« Es war schwer für ihn, den Ausdruck
Bürgerwehr
zu vermeiden. »Jeder Einheimische zwischen achtzehn und vierzig bekommt ein Gebiet im Ort, rund um den Ort und auf den Bergen zugeteilt. Die Streifen gehen zu zweit –«
    »So viele junge Leute gibts hier gar nicht!«
    Gelächter brandete auf.
    »Ich melde mich gleich freiwillig«, unterbrach der Malergeselle Pröbstl. »Ich nehm das Gebiet um die Riesserseehütte.«
    »Weils beim Riesserseewirt den besten selbstgebrannten Obstler gibt«, rief der Laiblbauer Kaspar.
    Alle lachten. Toni Harrigl stieg der Zorn hoch. Er war schon wieder nahe daran, die Verkäuferin mit zwei verbilligten Weckerln zu terrorisieren. Doch er beherrschte sich, so wie er es bei den Politikern in den Talkshows gesehen hatte. Gezügelter Zorn. Robespierre ja, aber diszipliniert – so funktionierte moderne Politik.
     
    »Also, ich geh jedenfalls nicht mehr alleine auf den Berg«, sagte die Drogistin von gegenüber.
    »Ja, da sieht mans wieder«, fasste Toni Harrigl nach. »So denken viele. Die Zugspitzbahn wird einen Geschäftseinbruch erleben, der sich gewaschen hat, das prophezeie ich euch.«
    »Aber zuerst einmal läuft das Geschäft bei der Zugspitzbahn doch wie geschmiert«, wandte Schlossermeister Johannes Zitzel ein. »Aus ganz Deutschland kommen jetzt die Touristen und fahren auf die Zugspitze, um den Tatort zu sehen. Die stehen doch geradezu Schlange.«
     
    Der Bäcker Johannes Krustmayer kam aus der Backstube, ganz klassisch mehlbestäubt und teigverschmiert. Er hatte noch nichts von dem zweiten Anschlag gehört und ließ sich alles aus verschiedenen Sichtweisen erzählen.
    »Ja, das ist doch ganz gut für den Tourismus«, sagte der Trendteigpatzer schließlich. »Das ist gut fürs Image. Da merkt jeder gleich, dass die Berge nichts für Weicheier sind. Wie heißt es so schön: Bergsteigen ist halt nicht Halma. Wer weiß: Vielleicht steckt ja sogar der Harrigl selber dahinter.«
    Gelächter in der Bäckerei. Harrigl kochte, musste jedoch mit zusammengebissenen Zähnen mitlachen. Der gemäßigte Robespierre. Nach außen hin weich, innen stahlhart.
    »Ja, lachts nur. Ich selber war droben auf der Greininger-Wiese, und das ist überhaupt nicht lustig. Wie die Leiche ausgeschaut hat! So möchte ich nicht enden, das sage ich euch.«
     
    Die meisten nickten und nahmen einen tiefen Schluck aus dem Weißbierglas.
    »Nehmen Sie drei Werdenfelser Weckerl, die sind dann
im Verhältnis
billiger als zwei Weckerl«, sagte die Verkäuferin gerade zu einem Kunden.
    »Was für ein Verhältnis?«, fragte der Kunde. »Ich möchte zwei Weckerl, sonst nichts.«
    Ein grober Klotz von einem Mannsbild verdunkelte kurz die Tür, dann trat er in den Raum und setzte sich an einen Tisch. Er trug einen schmutzigen, blauen Kittel und uralte Gummistiefel. LKW -Fahrer hätte er sein können oder Lagerist in einem Supermarkt, Automechaniker oder Hausmeister – aber dann hätte er die Baskenmütze nicht gar so künstlerisch schräg über die Stirn gezogen. Der grobe Klotz war Melchior Baudinger, seines Zeichens Fotograf, genauer gesagt Hobbyfotograf, denn so richtig leben konnte er von seinen Fotografien nicht.
    »Und, warst du auch droben?«, begrüßte ihn der Baader Helmut. Der Melchior nickte.
    »Hast was fotografiert?«
    Der Melchior nickte erneut. Schweigend legte er einen Stoß Schwarzweißbilder auf den Tisch. Die Bilder wurden sofort herumgereicht und auch von den anderen Gästen anerkennend kommentiert.
    »Gut hast du sie getroffen, die Unbekannte«, sagte der Malergeselle Pröbstl. »Auf diesem Foto da schaut sie direkt so aus, als ob sie schlafen würde.«
    Melchior Baudinger nickte erfreut. Er hatte viel Mühe auf die Perspektive verwendet, er hatte nicht wie die meisten anderen von der Greininger-Wiese aus fotografiert, er war mit seiner schweren Ausrüstung über die Muren gestapft und auf die Felsnadel gestiegen, er hatte sich dort oben den besten Platz ergattert. Die ganze Nacht über hatte er die Bilder digital bearbeitet, und das Ergebnis konnte sich künstlerisch sehen lassen. Das am meisten bewunderte Bild zeigte die junge Frau, die in einer Felsgrotte auf dem Rücken lag und in der Tat zu schlafen schien. Ein Bein hatte sie leicht angewinkelt, die Unbekannte, die Arme hatte sie entspannt über dem Bauch verschränkt, das Bild hätte fast elegant und gemütlich ausgesehen, wenn man nicht gewusst hätte, dass sie tot war. Auch diese urtümliche, altmodische und

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