Niedertracht. Alpenkrimi
DNA -Test im Ort beantragen?«, fragte Hölleisen.
»Der Aufwand ist enorm«, antwortete Jennerwein. »Und ich glaube auch nicht, dass das zum Täter führt. Aber die Spurensicherer haben noch etwas anderes gefunden.«
Er nahm die kleine Rosenkranzschatulle aus dem Beweismittelbeutel, stellte sie auf den Tisch, öffnete sie, nahm den Rosenkranz heraus und zeigte mit dem Kugelschreiber auf eine der inneren Seitenwände des Kästchens. Alle betrachteten die Stelle mit der Lupe.
»Devotionalienhandel Droste & Söhne«
, las Hölleisen. »Droste. Das klingt nicht bayrisch. Das klingt auch nicht süddeutsch.«
»Ist es auch nicht. Die Devotionalienhandlung liegt im anderen katholischen Zentrum des deutschsprachigen Raums, in Westfalen, genau gesagt in Münster. Ich habe bei den Kollegen dort angerufen. Und jetzt raten Sie mal!«
»Droste & Söhne gibt es nicht mehr?«
»Richtig. Die letzte dieser Rosenkranzschatullen wurde vor dreißig Jahren verkauft.«
»Wie kommt aber ein münsterischer –«
»Münsteraner«, verbesserte Nicole Schwattke. »Es heißt Münster
aner
.«
»Lernen Sie erst mal, das bayrische dunkle
a
in
So hoass i
richtig auszusprechen!«, sagte Hölleisen.
»Nickoll Schwouttke, so huoss i«, versuchte es Nicole.
»Die Frage ist die«, fuhr Jennerwein lächelnd fort, »wie so ein Münsteraner Rosenkranz nach Bayern kommt. Bis das geklärt ist, halten wir Informationen über den Fund zurück. Für eine DNA -Überprüfung brauchen wir ohnehin handfestere Beweise. Rauchpause.«
Niemand rauchte, aber alle gingen hinaus auf die Terrasse hinter dem Polizeirevier, um sich ein wenig die Füße zu vertreten. Der Junitag war heiß, und so schlug Jennerwein vor, quer über die Wiese zum nahen Wald zu gehen, um die Besprechung im Schatten fortzusetzen. Vergnügt, aber doch konzentriert stapfte das saubere halbe Dutzend zu den kühlenden Bäumen, und die Wanderung glich eher einem spontanen Familienausflug als einer Versammlung staatlich vereidigter Beamter zur Bekämpfung und Aufklärung von Mord und Totschlag. Als sie am Waldrand angekommen waren, durchfuhr ein frischer slowakischer Jinovec-Windstoß die harztropfenden Weißtannen, und der Duft von würziger Walderde umfing die rauchenden Köpfe.
»Sogar Pilze gibt es hier«, sagte Nicole. »
Schwammal
, habe ich recht?«
»Naja, Schwammerl schon, aber was für welche!«, sagte Hölleisen. »Das da ist der Kirschrote Speitäubling – ungenießbar. Und das der Orangefuchsige Schleierling – tödlich giftig.«
»Jetzt zum Täter«, sagte Jennerwein. »Ich nehme mal an, dass es
ein
Täter ist. Rein vom Gefühl her. Wenn das so ist, dann sollten wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass er weitermachen wird. Oder schon weitergemacht hat.«
»Ein Serientäter?«, fragte Stengele.
»Den Ausdruck
Serientäter
würde ich hier nicht verwenden. Ein Serientäter will Öffentlichkeit haben. Er will Kontakt mit der Presse, mit der Polizei aufnehmen.«
»Das ist richtig, Hubertus«, mischte sich Maria Schmalfuß ein. Sie hatte ihre Kaffeetasse an den Waldrand mitgenommen und rührte versonnen darin herum. »Ein Serientäter hat immer die Tendenz, die Taten möglichst dramatisch und spektakulär zu verkaufen, davon ist hier nichts zu finden. Der Serientäter legt auch meist ganz, ganz breite Spuren, die zu seinen Opfern führen. Sowohl Hans als auch die unbekannte Frau hingegen haben wir eigentlich nur zufällig entdeckt. Auf Hans hat uns dieser obskure anonyme Anrufer hingewiesen –«
»– der sich übrigens noch nicht wieder gemeldet hat«, warf Ostler ein.
»Vielleicht hat der Täter doch selbst angerufen?«, gab Nicole zu bedenken.
»Sechs Wochen nach der Tat? Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Ich glaube, dass es dem Täter völlig gleichgültig ist, ob wir die Leichen entdecken oder nicht. Er will lediglich keine Spuren hinterlassen, die zu ihm führen, das genügt ihm.«
»Vielleicht hat er das, was er wollte, schon erreicht.«
Ein Vogel krächzte heiser in einer Baumkrone, es klang wie KRCHAÁG . Alle blickten hoch, niemand konnte etwas erkennen. Hölleisen identifizierte das Krächzen als das des Gemeinen Blachrallenkauzes.
»Wissen wir schon Genaueres über die Frau?«, fragte Nicole.
»Nein«, entgegnete Jennerwein. »Ich habe gleich als Erstes beim Bundeskriminalamt angerufen. Es gibt bisher keine passende Vermissung, weder national noch international.«
»Unser Täter sucht sich also Personen aus, die nicht oder
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