Niedertracht. Alpenkrimi
Outlaw taugte. Der Mond war verschwunden, es herrschte tiefschwarze Dunkelheit. Bevor er den steilen Rösslesprung hinaufstieg, schaltete er die Stirnlampe an. Er hatte sich für seine Nachttour einen mittelschweren Klettersteig ausgesucht, und er genoss die Tour. Blindklettern – das wäre doch was für diese gspinnerten Eventagenturen, die ihren ausgelaugten Managern immer wieder neue Herausforderungen bieten mussten! Der Rösslesprung war zu Ende, er setzte sich und sah ins Tal hinunter. Viele Lichter brannten nicht mehr, der Kurort war allerdings auch nicht gerade für sein pulsierendes Nachtleben berühmt. Aber zuckten dort, in der Mitte des besiedelten Gebietes, an der Nahtstelle zwischen den beiden zusammengewachsenen Ortsteilen, nicht flackernde Lichter auf? Oder hatte er sich getäuscht? Da, schon wieder! Ein halbes Dutzend scharf gebündelte Strahlen tanzten dort umher, verloschen wieder, um erneut aufzublitzen. Was machten die dort? Spielten die den Krieg der Sterne mit Laserschwertern nach?
Sollte er sicherheitshalber einen zweiten Tresor anlegen? Oder sollte er vielleicht nur die Zahlenkombination ändern? Aber wer außer einem absoluten Fan von Luis Trenker sollte auf dessen Lebensdaten kommen? Er kramte die Mundharmonika aus dem Rucksack. Was war das für ein Auftrag? Warum zahlten die ihm so viel Geld dafür, nur damit er wochenlang in der Gegend herumkletterte? Und wie lange würde das noch gehen? Ein kleines Insekt krabbelte auf seinem Nacken herum, er scheuchte es weg. Die waren aber lästig dieses Jahr! Er spielte ♫ Bergsteigerglück … Es war eine windstille Nacht, und die Melodie war weithin zu hören.
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(Angriffsschrei der Utah-Indianer)
War da nicht was gewesen? Eine Mundharmonika? Unmöglich. Holger lauschte weiter angestrengt in die Nacht hinein. Im Inneren seines Kopfes dröhnte und schepperte es, das alles fühlte sich nach einem schweren Kater an. Aus dem ganzen Gelärme und schmerzhaften Gejaule war jedoch der scharfe Klang einer Mundharmonika herausgestochen. Oder doch nicht? Warum drehte sich alles in seinem Kopf? War er mit seinen Dart-Kameraden versumpft und abgestürzt? Er hatte keine Erinnerung mehr daran, wenn, dann musste es ein ziemlicher Absturz gewesen sein. Er spürte, dass er leichtes Fieber hatte, Kopfweh, einen geschwollenen Hals und Gliederschmerzen. Hatten sich die Dartfreunde einen Scherz mit ihm erlaubt? Toller Scherz. Bleierne Müdigkeit übermannte ihn, er hatte das dringende Bedürfnis, sich zusammenzurollen und wieder einzuschlafen, selbst auf diesem unbequemen Untergrund. Mit einer Hand hing er immer noch dort oben an der Decke. Er zog und zerrte an seiner Fessel, doch die Aufhängung war fest. Er drehte sich, so gut es ging, zur Seite, um in eine bequemere Lage zu kommen. Diese Gliederschmerzen! Aber jetzt wieder – eine Mundharmonika! Ein Windstoß hatte den Klang herangetragen, zwei Töne nur. Hatte ihn jemand gerufen? Er sollte antworten, das gehörte wohl zum Spiel. Doch er brachte nicht mehr als ein kraftloses und halbherziges
Hallo!
zustande, dann schlief er wieder ein. Morgen früh, dachte er, morgen früh würde er weitersehen.
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j IQ ong vIneH ji
Klingonischer Jodler
Unten im Tal hatte sich die Nacht vollständig auf den Kurort gelegt, kaum ein Licht brannte, selbst im Kern der Gemeinde nicht, die Straßen waren leer, die Ampeln ausgeschaltet, und am allerdunkelsten war der gemeindeeigene Kurpark. Schritt für Schritt kam Rocco ›Joe‹ Manzini auf Karl Swoboda zu, und mit jedem Schritt wurde es brenzliger für den österreichischen Problemlöser.
So ein Kurpark ist, wie es beide Wortteile schon andeuten, ein Hort der Erholung, eine Oase des bürgerlichen Lustwandelns inmitten floristischer Kunstwerke und kühner gärtnerischer Einfälle. Der Kurpark der Gemeinde lag zentral, eine grüne Lunge im Herzen der Stadt. Tagsüber schlenderten hier Senioren durch und setzten sich gichtig und seufzend auf die Bänke, Äste von Trauerweiden klopften ihnen auf die Schultern –
Warte nur, balde
/
Ruhest du auch
–, so eine liebliche Stimmung war das. Einen einzigen Aufreger hatte der Kurpark erlebt, in den neunziger Jahren: Michael Jackson soll einmal hier gewesen sein, ganz alleine, ohne Leibwächter, er soll hier Schrittfolgen geübt haben, und der Platz war äußerst gut gewählt, denn niemand von den Senioren kannte Michael Jackson. Ja, wenn Johannes Heesters hier aufgetaucht wäre! So aber hatte der King of Pop seinen
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