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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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Atomkern, Planck entdeckt das Quantum der Wirkung, Lavoisier entdeckt den Sauerstoff, Newton entdeckt die Bewegungsgleichungen –, ohne zu erkennen, dass es sich dabei weniger um Entdeckungen und mehr um Erfindungen handelt. Natürlich hat Kolumbus den neuen Kontinent namens Amerika nicht erfunden, sondern entdeckt, als er 1492 den Seeweg nach Indien gesucht hat. Aber spätestens seit Immanuel Kant und seinen rund dreihundert Jahre später entstandenen philosophischen Texten zur Erkenntnis wissen wir, dass die Gesetze der Natur nicht in ihr liegen, sondern von uns stammen. Newtons Bewegungsgleichung ist ebenso eine freie Erfindung eines menschlichen Geistes wie Plancks Quantum oder Rutherfords Kern, auch wenn dies erst nach einigem Nachdenken klar wird. Diese Schwierigkeit fällt jedoch weg, wenn wir Bohr bei seiner Arbeit am Periodensystem der Elemente zusehen. Hier wird nichts entdeckt und dafür alles erfunden – was natürlich nicht die Wahrheit garantiert, sondern auch gewaltig danebengehen kann. Tatsächlich scheiterte Bohr mit seinem konstruktiven Verfahren zunächst einmal an der atomaren Wirklichkeit. Er musste sein Aufbauprinzip mehrfach verfeinern, und er tat dies unter anderem, indem er den beiden bereits eingeführten Quantenzahlen n und k eine dritte hinzufügte, die mit einem kleingeschriebenen m für »magnetische Quantenzahl« bezeichnet wird.

    Die Notwendigkeit einer magnetischen Zahl hatte ihren Ursprung in Experimenten, die der Holländer Pieter Zeeman durchgeführt und bei denen er erst Atome in Magnetfelder eingebracht und anschließend ihre Spektrallinien neu vermessen hatte. Die Resultate zeigten zur allgemeinen Überraschung, dass die Elektronen im Magnetfeld anderes Licht aussenden als vorher. Einzelne Linien (Singletts) spalten sich in mehrere auf (Multipletts), was Physiker so deuten, dass die Elektronen mit dem Magnetfeld eine Wechselwirkung eingehen, wodurch sich die Energie des ausgesandten Lichts verändert. Diese Interaktion versuchte Bohr mit seiner dritten Quantenzahl zu berücksichtigen und in den Griff zu bekommen. Er legte das kleingeschriebene m dabei so an, dass es nicht größer als die Nebenquantenzahl werden konnte, musste ihm aber zugestehen, beide Vorzeichen (plus und minus) tragen zu können. Die Experimente von Zeeman (der »Zeeman-Effekt«) legten diese Symmetrie nahe, da sich die zusätzlichen Linien in zwei Richtungen von der Ausgangslinie entfernen konnten.
    Es mag hier vieles wie reine Zahlenspielerei erscheinen, aber es wird sich bald herausstellen, dass sich mit diesen Quantenzahlen wesentliche Merkmale des Periodensystems der Elemente fassen und dem menschlichen Verstehen zuführen lassen. Außerdem zeigt Bohr mit diesem Vorgehen, dass die Ideen des 19. Jahrhunderts, die sich mit den Formen und Gestalten der Dinge befassen, unvermindert Gültigkeit besitzen, auch wenn dies zunächst kaum jemandem aufgefallen ist. Durch die Einführung des Begriffs vom stationären Zustand eines Atoms, dessen Existenz durch stabile Umlaufbahnen garantiert und durch einige Quantenzahlen erfasst wird, geht Bohr über die Physik seiner Vorgänger hinaus. Mit Bohr tritt tatsächlich »die Morphologie, die Lehre von Gestalten, wieder in ihre Rechte« ein, wie Werner Heisenberg zuerst in seiner Autobiographie und dann auch – leider unbemerkt von der eigenen Zunft und den Philosophen – 1969 in einem Vortrag über »Die Einheit der Natur bei Alexander von Humboldt und in der Gegenwart« feststellte: »Man kann die Stabilität der Atome nur verstehen, wenn man annimmt, dass immer wieder dieselben symmetrischen Gestalten der kleinsten
Teile aus physikalischen Prozessen hervorgehen. Aus diesem Grundgedanken hat sich dann die Theorie der Atomhülle, der Atomkerne und schließlich die noch unfertige Theorie der Elementarteilchen entwickelt.« (Heisenberg, Gesammelte Werke ) Mit Bohr wird somit klar, dass man die Natur verstehen kann, wenn man ihr eine Form gibt, die man selbst geschaffen hat. Dieses Vorgehen stammt aus dem Repertoire des romantisch-kreativen Denkens, das sich hier erneut der wissenschaftlich-aufgeklärten Grundhaltung an die Seite stellt, die nach Abweichungen von Erfahrungen oder Übereinstimmungen mit Messungen fragt.
    Diese zuletzt genannte notwendige Bedingung wird die Physiker bald noch einen Schritt weiter und zu der Einsicht führen, dass nicht nur drei, sondern vier Quantenzahlen benötigt werden, um die Elektronenhüllen der Atome komplett zu fassen

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