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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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und vielleicht in künftige Freundschaften umwandeln wollte.
    Es ist wichtig, sich die Stimmung im großen Hörsaal des Physikalischen Instituts in Göttingen zu vergegenwärtigen, in dem sich das Publikum drängte, um Bohr zu hören und etwas über Atome und die neue Quantenphysik zu lernen. Wissenschaftlich gesehen befand man sich ziemlich im Ungewissen. Das Land der klassischen Physik hatte man zwar verlassen können oder müssen, um sich auf Entdeckerfahrt zu begeben, aber das erhoffte Ufer zeigte sich bestenfalls in ersten Umrissen. Alle Bemühungen gingen auf einem Grund vonstatten, der wie ein Meer zu schwanken schien. Politisch waren
zu dieser Zeit noch immer die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs zu spüren, durch die Deutschland und seine Wissenschaftler isoliert worden waren. Der hohe dänische Besuch bedeutete eine heilsame Anerkennung der deutschen Wissenschaft und bot die Chance einer Öffnung zur internationalen Zusammenarbeit.
    Bohrs Annahme der Einladung nach Göttingen hat sicher mit dem hohen Respekt zu tun, den die ganze Familie Bohr der deutschen Kultur und Wissenschaft zollte. Niels Bohr schätzte in seinem Fachgebiet vor allem die Arbeiten von Sommerfeld, mit denen sein Atommodell wesentlich verfeinert werden konnte. Sommerfeld selbst kam selbstverständlich nach Göttingen, und er brachte seinen Studenten Werner Heisenberg mit. Der große Hörsaal war bis auf den letzten Platz besetzt, als Bohr im Sommer 1922 mit seinen Ausführungen begann. Heisenberg hat sich 1969 in seiner Autobiographie Der Teil und das Ganze an die ersten Eindrücke aus diesen Tagen erinnert:
    Bohr sprach ziemlich leise; mit weichem dänischen Akzent, und wenn er die einzelnen Annahmen seiner Theorie erklärte, so setzte er die Worte behutsam, sehr viel vorsichtiger, als wir es sonst von Sommerfeld gewohnt waren, und fast hinter jedem der sorgfältig formulierten Sätze wurden lange Gedankenreihen sichtbar, von denen nur der Anfang ausgesprochen wurde und deren Ende sich im Halbdunkel einer für mich sehr erregenden philosophischen Haltung verlor. Der Inhalt der Vorlesung schien neu und nicht neu zugleich. Wir hatten die Bohr’sche Theorie ja bei Sommerfeld gelernt, also wussten wir, worum es sich handelte. Aber was gesagt wurde, klang in Bohrs Mund anders als bei Sommerfeld. Es war ganz unmittelbar zu spüren, dass Bohr seine Resultate nicht durch Berechnungen und Beweise, sondern durch Einfühlen und Erraten gewonnen hatte...
    Heisenbergs Ausführungen deuten an, dass es so etwas wie einen Stil der Wissenschaft gibt. Nicht nur in der Malerei und in der Literatur, sondern auch in der Wissenschaft lässt sich ein Stil erkennen,
und Heisenberg macht in Der Teil und das Ganze klar, dass er das Wort in der Physik so verwendet wie in der Kunst. So wie es zum Beispiel Rembrandts oder Monets Stil gibt, gibt es Einsteins oder Bohrs Stil, und Heisenberg stellt den zuletzt Genannten mit den folgenden Worten im künstlerischen Vergleich dar:
    Bohr benützt die klassische Mechanik oder die Quantentheorie eigentlich... so, wie ein Maler Pinsel und Farbe benützt. Durch Pinsel und Farbe ist das Bild nicht bestimmt, und die Farbe ist nie die Wirklichkeit; aber wenn man das Bild vorher, wie der Künstler, vor dem geistigen Auge hat, so kann man es durch Pinsel und Farbe – vielleicht nur unvollkommen – auch den anderen sichtbar machen. Bohr kennt das Verhalten der Atome bei Leuchterscheinungen, bei chemischen Prozessen und in vielen anderen Vorgängen ganz genau, und dadurch hat er intuitiv eine Vorstellung von der Struktur der verschiedenen Atome gewonnen; ein Bild, das er nun mit dem unvollkommenen Hilfsmittel der Elektronenbahnen und Quantenbedingungen den anderen Physikern verständlich machen will. Es ist also gar nicht so sicher, dass Bohr selbst an die Elektronenbahnen im Atom glaubt. Aber er ist von der Richtigkeit seiner Bilder überzeugt. Dass es für diese Bilder einstweilen noch keinen angemessenen sprachlichen oder mathematischen Ausdruck gibt, ist doch gar kein Unglück. Es ist im Gegenteil eine außerordentlich verlockende Aufgabe.
    Es würde sich lohnen, Wissenschaftsgeschichte als Stilgeschichte zu schreiben und zum Beispiel Newtons Stil von dem Einsteins, Bohrs Stil von dem Sommerfelds und Heisenbergs Stil von anderen Stilen zu unterscheiden, wobei diese Zuordnung nicht auf die Physik zu beschränken ist und sicher auch für die Chemie und die Biologie zutrifft. Man braucht nur an Darwins Stil in der Biologie, an

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