Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
alte Frau Geschichten aus Eriksberg und Vibyholm und Julita und Lagmansö und aus vielen anderen Häusern erzählt hatte,
fragte einer, ob sich nie etwas dergleichen auf Stör Djulö zugetragen habe. »Ja, davon ist auch allerlei zu erzählen,« sagte
die Alte. Und da wollten sie dann alle die Sagen hören, die sich aus ihrem eigenen Schloß abgespielt hatten.
Und so erzählte denn die Alte, daß einstmals ein Schloß nördlich von Stör Djulö aus einem Hügel gelegen haben solle, wo jetzt
nichts weiter war als Wald, und zu dem Schloß gehörte ein wunderschöner Garten. Da geschah es einmal, daß einer, der Herr
Karl hieß, und der zu jenen Zeiten über ganz Sörmland regierte, nach dem Schloß kam. Und als er gegessen und getrunken hatte,
ging er in den Garten hinaus und stand lange da und sah über den Store Djulösee mit seinen schönen Ufern hin. Und wie er so
dastand und sich über das freute, was er sah, und bei sich dachte, ein schöneres Land als Sörmland gebe es doch nicht auf
der Welt, hörte er jemand hinter sich tief seufzen. Da wandte er sich um und sah einen alten Tagelöhner, der über seinen Spaten
gebeugt stand. »Bist du es, der so tief seufzt?« fragte Herr Karl. »Was hast du nur zu seufzen?« – »Ich soll wohl seufzen,
daß ich hier Tag aus, Tag ein arbeiten muß,« antwortete der Tagelöhner. Aber Herr Karl hatte einen heftigen Sinn und konnte
es nicht leiden, wenn Leute klagten. »Hastdu keinen weiteren Grund zur Klage?« rief er. »Ich sage dir, ich würde zufrieden sein, wenn ich mein Leben lang in Sörmlands
Erde graben könnte.« – »Möge es Euer Gnaden gehen, wie Ihr wünschet!« entgegnete der Tagelöhner.
Später aber sagte man, Herr Karl habe, als er tot war, wegen dieser Worte, keine Ruhe in seinem Grabe gefunden, sondern er
sei jede Nacht nach Store Djulö gekommen und habe in seinem Garten gegraben. »Ja, jetzt ist da ja weder ein Schloß noch ein
Garten mehr; da, wo das einstmals gelegen, ist nur ein ganz gewöhnlicher Waldhügel. Aber es kann wohl geschehen, daß wer in
einer dunklen Nacht durch den Wald geht, den Garten erblickt.«
Hier hielt die Alte inne und sah aufmerksam nach einer dunklen Ecke hinüber. »Rührte sich da nicht eben etwas?« fragte sie.
»Bewahre, Mutter, erzählt Ihr nur weiter!« sagte die Schwiegertochter. »Ich sah gestern, daß die Mäuse da in der Ecke ein
großes Loch genagt haben, aber ich hatte soviel anderes zu tun, daß ich vergaß, es zuzustopfen. Erzählt Ihr uns nur, ob jemand
den Garten gesehen hat.«
»Ja,« sagte die Alte, »ihr müßt wissen, daß mein eigener Vater ihn einmal gesehen hat. In einer Sommernacht kam er durch den
Wald gegangen, und plötzlich sah er neben sich eine hohe Gartenmauer, und über der Mauer konnte er die herrlichsten Bäume
erkennen; die waren so voller Blüten und Früchte, daß die Zweige tief über die Mauer herabhingen. Mein Vater ging ganz still
näher heran und konnte nicht begreifen, woher der Garten gekommenwar. Da tat sich plötzlich ein Tor in der Mauer auf, und ein Gärtner kam heraus und fragte meinen Vater, ob er seinen Garten
nicht sehen wollte. Der Mann hatte einen Spaten in der Hand und er trug eine große Schürze so wie andere Gärtner, und Vater
wollte gerade mit ihm gehen, als er einen Blick auf sein Gesicht warf. Im selben Augenblick erkannte mein Vater die spitze
Stirnlocke und den Spitzbart. Es war leibhaftig Herr Karl, so wie mein Vater ihn auf Bildern abgebildet gesehen hatte, die
in all den Schlössern hingen, wo Vater ...«
Hier wurde die Geschichte von neuem unterbrochen. Jetzt war es ein Scheit Holz, das sprühte, so daß Funken und glühende Kohlen
auf den Fußboden flogen. Einen Augenblick wurde es hell in all den dunklen Ecken der Stube, und die Alte glaubte, einen Schimmer
von einem Wicht gesehen zu haben, der neben dem Mauseloch saß und der Geschichte lauschte, sich jetzt aber beeilte davonzukommen.
Die Schwiegertochter holte Besen und Aufnehmer, fegte die glühenden Kohlen zusammen und setzte sich wieder hin. »Erzählt doch
weiter, Mutter!« sagte sie. Aber die Alte wollte nicht. »Jetzt mag es genug sein für heute abend,« sagte sie, und ihre Stimme
klang so sonderbar. Die anderen fuhren fort, sie zu bitten, aber die Schwiegertochter sah, daß die Alte blaß geworden war,
und daß ihre Hände zitterten. »Nein, jetzt ist Mutter müde und muß zu Bett,« sagte sie.
Bald darauf kam der Junge wieder in den Wald
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