Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
das Bruderteil bekommen
hatte. ›Ich habe es so herzlich satt, alle diese armen, unglücklichen Menschen zu töten, die meinen Kupferberg entdecken,‹
sagte sie, ›daß ich wollte, ich hätte die Erbschaft niemals angetreten. Aber was ich versprochen habe, muß ich halten!‹ Und
dann begann sie wieder, einen Felsblock loszubrechen. ›Übereile dich nicht,‹ sagte der Bauer, ›Du brauchst mich um des Versprechens
willen nicht zu töten. Ich habe ja das Kupfer nicht gefunden, sondern der Ziegenbock, und den hast du schon totgeschlagen.‹
– ›Glaubst du, daß ich mich damit begnügen kann?‹ fragte das Riesenweib ein wenig unschlüssig. – ›Ja, das glaube ich ganz
bestimmt!‹ antwortete der Bauer. ›Du hast dein Versprechen so treu gehalten, wie es nur irgend jemand verlangen kann.‹ Und
er sprach so vernünftig mit ihr, daß sie ihn am Leben ließ.
Der Bauer zog nun zu allererst mit den Kühen heim. Dann ging er in das Bergdistrikt hinab und mietete Knechte, die sich auf
Bergwerksarbeit verstanden. Die halfen ihm, an der Stelle, wo der Ziegenbock sein Leben gelassen hatte, eine Grube brechen.
Anfangs fürchtete er, totgeschlagen zu werden, aber das Riesenweib hatte es offenbar satt, ihren Kupferberg zu bewachen. Sie
fügte ihm nie ein Leid zu.
Die Erzader, die der Bauer entdeckt hatte, reichte ganz bis an die Oberfläche des Berges, so daß es weder mühselig noch schwer
war, das Erz zu brechen. Er und die Knechte holten Brennholz aus dem Walde, errichteten große Scheiterhaufen auf dem Erzberge
und zündeten sie an. Da wurde der Fels von der Hitze gesprengt, so daß sie zu dem Erz gelangen konnten. Dann ließen sie die
Erzstücke durch ein Feuer nach dem anderen gehen, bis sie das reine Kupfer gewannen und die Schlacken ganz ausgeschieden wurden.
In alten Zeiten verwendeten die Leute fast noch mehr Kupfer zum täglichen Gebrauch als heutzutage. Es war eine begehrte und
nützliche Ware, und der Bauer, dem die Grube gehörte, wurde bald steinreich. Er baute sich ein großes prachtvolles Haus in
der Nähe der Grube und nannte es Kåreerbe nach dem Ziegenbock. Wenn er zur Kirche nach Torsång ritt, war sein Pferd mit Silber
beschlagen, und als seine Tochter Hochzeit feierte, ließ er Bier aus zwanzig Tonnen Malz brauen und zehn große Ochsen am Spieß
braten.
Aber eines Abends geschah es, daß vier schneidige Kerle mit der Bergmannshacke auf dem Rücken nach Kåreerbe gewandert kamen.
Sie wurden gut empfangen wie alle anderen, aber als der Bauer fragte, ob sie bei ihm arbeiten wollten, sagten sie rein heraus
nein. ›Wir wollen auf eigene Rechnung Erz brechen.‹ – ›Ihr wißt doch, daß der Erzberg mir gehört?‹ entgegnete der Bauer. –
›Es ist nicht unsere Absicht, Erz in Eurer Grube zu brechen.‹ sagten die Fremden. ›Der Berg ist groß, und was offen und uneingefriedigt
in der Wildnisliegt, können wir mit gleich gutem Recht wie du nehmen.‹
Mehr wurde nicht über die Sache geredet, und der Bauer erwies den Neuangekommenen nach wie vor Gastfreundschaft. Früh am nächsten
Morgen gingen sie auf Arbeit, fanden eine Strecke weiter entfernt Kupfererz und begannen, es zu brechen. Als sie einige Tage
gearbeitet hatten, kam der Bauer zu ihnen hinaus. ›Es ist viel Erz hier im Berge,‹ sagte er. – ›Ja, es gehört die Arbeit von
vielen Menschen dazu, bis dieser Schatz gehoben ist,‹ erwiderte einer von den Fremden. – ›Das weiß ich wohl,‹ sagte der Bauer,
›aber ich finde doch, ihr solltet mir Steuern von dem Erz entrichten, das ihr brecht, da es doch mein Verdienst ist, daß hier
im Berge gearbeitet werden kann.‹ – ‹Wir verstehen nicht, was du sagst,‹ entgegneten die Männer. – ›Ja, ich habe den Berg
durch meine Klugheit ausgelöst,‹ sagte der Bauer und erzählte ihnen von den beiden Riesenweibern und von dem Bruderteil.
Die Männer hörten sehr aufmerksam zu, aber worauf es ihnen in der Erzählung ankam, war etwas ganz anderes, als der Bauer erwartet
hatte. ›Ist es sicher, daß das andere Riesenweib schlimmer ist, als die Riesin, die du getroffen hast!‹ fragten sie. – ›Ich
glaube nicht, daß sie euch schonen würde,‹ sagte der Bauer. Damit verließen sie ihn, aber er verlor sie nicht aus den Augen,
und nach einer Weile sah er, daß sie mit der Arbeit innehielten und in den Wald gingen.
Als die Leute in Kåreerbe an jenem Tage beim Abendbrot saßen, hörten sie ein schreckliches Wolfsgeheul
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