Niemalsland
Halvard steckte den Griff seiner Pike dazwischen, und sie öffneten sich und begannen, sich immer wieder zu öffnen und zu schließen und dabei gegen den Pikengriff zu knallen.
»Bitte bleiben Sie von den Türen zurück«, sagte eine Lautsprecherstimme. »Der Zug kann erst abfahren, wenn alle Türen geschlossen sind.«
Der Earl glotzte Door mit seinem gesunden Auge schief an. »Nun. Was bringt Euch zu mir?«
Sie leckte sich die Lippen. »Also, indirekt, Euer Gnaden, der Tod meines Vaters.«
Er nickte langsam. »Ja. Ihr wollt Rache. Und das zu Recht.« Er hustete und rezitierte dann in einem basso profundo: »Bietet blitzenden Klingen die Stirn, laßt aufleuchten das wilde Feuer, senkt das eiserne Schwert ins verhaßte Herz, glutrot das … das … Dingsda. Ja.«
»Rache? Ja. Das hat mein Vater auch gesagt. Aber ich will nur verstehen, was passiert ist, und mich selbst schützen. Meine Familie hatte keine Feinde.«
Da torkelte Dagvard wieder in den Zug, den Helm voller Schokoriegel und Coladosen; die Türen konnten sich schließen, und der Zug fuhr wieder los.
Der Mantel war über und über mit Münzen und Scheinen bedeckt – und Schuhen. Schuhen an Füßen, die die Münzen traten, die Banknoten beschmierten und zerrissen und den Mantelstoff zerfetzten. Geld wie Dreck.
»Laßt mich in Ruh’«, bettelte Lear. Er stand mit dem Rücken an der Wand der Unterführung. Blut lief über sein Gesicht und tropfte hellrot in seinen Bart. Sein Saxophon hing schlaff und verdreht auf seiner Brust.
Er war von einer kleinen Menschenmenge umringt – mehr als zwanzig, weniger als fünfzig. Alle drängelten und schubsten, ein hirnloser Mob, die Augen leer und starr, der, verzweifelt um sich schlagend und kratzend, versuchte, Lear Geld zu geben.
An der gekachelten Wand war Blut, dort, wo Lear sich den Kopf aufgeschlagen hatte. Armrudernd wehrte er eine Frau mittleren Alters ab, die ihm mit weit geöffneter Handtasche eine Faust voll Fünf-Pfund-Noten entgegenstieß. In ihrem Eifer, ihm ihr Geld zu geben, drohte sie ihm das Gesicht zu zerkratzen. Er wand sich, um ihr auszuweichen, und stürzte auf den Tunnelboden.
Jemand trat auf seine Hand. Sein Gesicht wurde in eine Brühe von Kleingeld gestoßen. Er begann zu schluchzen und zu fluchen.
»Ich hab’ Ihnen doch gesagt, Sie sollen’s nicht übertreiben«, sagte dicht neben ihm eine elegante Stimme. »Wie ungezogen.«
»Helfen Sie mir«, keuchte Lear. »Nun ja, es gibt tatsächlich einen Gegenzauber«, gestand die Stimme beinahe widerstrebend.
Die Menge drängelte sich jetzt noch näher heran. Ein Fünfzig-Pence-Stück, das jemand geworfen hatte, schlitzte Lear die Wange auf. Er rollte sich wie ein Fötus zu einer Kugel zusammen, schlang die Arme um sich, vergrub sein Gesicht zwischen den Knien.
»Spielen Sie es, verdammt noch mal«, sagte er. »Egal, was Sie wollen … Machen Sie bloß, daß sie aufhören …«
Eine Flöte begann leise zu spielen und hallte durch die Unterführung. Eine einfache Melodielinie, immer wieder von vorn, jedesmal ein wenig anders: die de-Carabas-Variationen.
Die Schritte entfernten sich. Erst schlurfend, dann immer schneller: Bald waren sie fort. Lear öffnete die Augen.
Der Marquis de Carabas lehnte an der Wand und spielte auf der Flöte. Als er sah, daß Lear ihn anschaute, setzte er die Flöte ab und steckte sie wieder in eine Innentasche. Er warf Lear ein spitzengesäumtes Taschentuch aus geflicktem Leinen zu. Lear wischte sich das Blut von der Stirn und aus dem Gesicht.
»Die hätten mich umgebracht«, sagte er vorwurfsvoll.
»Ich habe Sie gewarnt«, sagte de Carabas. »Sie können von Glück sagen, daß ich auf dem Rückweg wieder hier entlanggekommen bin.«
Er half Lear, sich aufzusetzen.
»Also«, sagte de Carabas. »Ich glaube, jetzt schulden Sie mir noch einen Gefallen.«
Lear hob seinen Mantel – zerrissen und schlammverschmutzt und von den Abdrücken vieler Füße gezeichnet – vom Boden der Unterführung. Plötzlich war ihm sehr kalt, und er wickelte sich den zerfetzten Mantel um die Schultern. Münzen fielen heraus, und Scheine flatterten zu Boden. Er ließ sie liegen.
»Hab’ ich wirklich Glück gehabt? Oder haben Sie mich reingelegt?«
Der Marquis sah beinahe beleidigt aus. »Wie können Sie nur so etwas von mir denken?«
»Weil ich Sie kenne. Deshalb. Also – was ist es diesmal? Diebstahl? Brandstiftung? Mord?« Lear klang resigniert und ein wenig traurig.
De Carabas griff hinunter und nahm sein Taschentuch
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