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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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bißchen Wärme spenden, he?« Er glotzte sie lüstern an und berührte ihr wirres Haar mit seinen alten Fingern.
    Hunter trat einen Schritt auf Door zu. Door machte ihr ein Zeichen: Nein. Noch nicht.
    Door sah zu dem Earl auf und sagte: »Euer Gnaden, ich bin Porticos älteste Tochter. Wie komme ich zum Engel Islington?«
    Richard staunte, wie Door angesichts des offenbar aussichtslosen Kampfes des Earl gegen den Zahn der Zeit die Ruhe bewahren konnte.
    Der Earl blinzelte würdevoll mit seinem einzelnen Auge: ein alter Raubvogel, den Kopf zur Seite gelegt. Dann nahm er seine Hand von ihrem Haar.
    »Das seid Ihr. Das seid Ihr. Porticos Tochter. Wie geht es Eurem geschätzten Vater? Ich hoffe, gut. Ein feiner Mann. Guter Mann.«
    »Wie kommen wir zum Engel Islington«, fragte Door, doch ihre Stimme zitterte leicht.
    »Hmm? Mit dem Angelus natürlich.«
    Richard ertappte sich dabei, wie er sich den Earl vor sechzig, achtzig, fünfhundert Jahren vorstellte: ein mächtiger Krieger, ein raffinierter Stratege, ein großer Frauenliebhaber, ein guter Freund, ein schrecklicher Feind. Irgendwo da drinnen war noch etwas von diesem Mann übrig.
    Der Earl hantierte auf den Regalen herum, schob Stifte und Pfeifen und Blasrohre, kleine Gargoyles und tote Blätter hin und her. Dann griff er wie eine alternde Katze, die zufällig über eine Maus stolpert, nach einer kleinen zusammengerollten Schriftrolle und reichte sie dem Mädchen.
    »Hier, Mädel«, sagte der Earl. »Da steht alles drin. Wir sollten Euch wohl lieber an der richtigen Stelle absetzen.«
    »Sie setzen uns ab?« fragte Richard. »Mit einem Zug?«
    Der Earl blickte sich nach der Quelle dieser Geräusche um, bis sein Blick auf Richard fiel. Er lächelte strahlend. »Ach, das ist nicht der Rede wert«, dröhnte er. »Für Porticos Tochter tu’ ich doch alles.«
    Triumphierend umklammerte Door die Schriftrolle.
    Richard spürte, wie der Zug abbremste, und er und Door und Hunter wurden aus dem steinernen Zimmer zurück in den Waggon geführt.
    Richard schaute auf den Bahnsteig hinaus, während sie langsamer wurden.
    »Verzeihung. Welche Haltestelle ist das hier?« fragte er.
    Der Zug hielt vor einem der Schilder: BRITISH MUSEUM stand darauf. Irgendwie war das zuviel des Guten. Das Wesen im U-Bahn-Schacht, den Earl’s Court und sogar die seltsame Bibliothek konnte er akzeptieren. Aber, verdammt noch mal, mit dem U-Bahn-Plan kannte er sich wirklich aus. Und das hier ging zu weit. »Es gibt keine Haltestelle namens British Museum«, sagte Richard mit fester Stimme.
    »Nein?« dröhnte der Earl. »Dann, hmm, müßt Ihr beim Aussteigen sehr vorsichtig sein.« Und er lachte vergnügt und tippte seinem Narren auf die Schulter. »Hast du das gehört, Tooley? Ich bin ebenso komisch wie du.«
    Der Narr lächelte das trostloseste Lächeln, das man je gesehen hat. »Mir bersten die Seiten, mir brechen die Rippen, meine Heiterkeit ist unermeßlich, Euer Gnaden«, sagte er.
    Die Türen öffneten sich zischend.
    Door lächelte zu dem Earl empor. »Danke«, sagte sie.
    »Fort mit Euch«, erwiderte der riesige alte Mann und scheuchte Door und Richard und Hunter aus dem warmen, verrauchten Waggon auf den leeren Bahnsteig. Und dann schlossen sich die Türen, und der Zug fuhr ab, und Richard ertappte sich dabei, wie er ein Schild anstarrte, das, egal, wie oft er blinzelte – sogar, wenn er weg- und ganz plötzlich wieder hinschaute, um es auf frischer Tat zu ertappen – eigensinnig dabei blieb:
    BRITISH MUSEUM.

Kapitel Acht
     
    Es war früh am Abend, und der wolkenlose Himmel wechselte seine Farbe von Königsblau zu einem tiefen Violett, mit einem Fleckchen Feuerorangerot und Limonengrün im Westen über Kensington, wo, jedenfalls von Old Baileys Standort aus gesehen, die Sonne gerade prachtvoll untergegangen war.
    Himmel. Keiner wie der andere. Weder bei Tag noch bei Nacht. In Himmelsdingen war er so etwas wie ein Connaisseur, der alte Bailey, und dieser hier war ganz besonders gelungen.
    Old Bailey hatte sein Zelt für die Nacht auf einem Dach gegenüber von St. Paul’s Cathedral aufgeschlagen, im Zentrum der City of London. Er mochte die Kathedrale, wenigstens sie hatte sich in den letzten dreihundert Jahren kaum verändert. Sie war aus weißem Portland-Stein gebaut, der durch den Ruß und Schmutz in der verqualmten Londoner Luft langsam schwarz geworden war, und jetzt war sie gereinigt worden und wieder weiß. Aber sie war immer noch St. Paul’s.
    Er bezweifelte, daß auch die

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