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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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schmutzige Hand aus und berührte die Tür. Einen langen Moment lang passierte nichts, dann krachte es auf der anderen Seite der Tür laut, und auf ihrer Seite war ein Scheppern zu hören. Door stieß gegen die Tür, und mit einem schrillen Quietschen der verrosteten Türangeln ging sie auf.
    Door stellte den Kragen ihrer Lederjacke hoch und steckte die Hände tief in die Taschen. Hunter leuchtete mit ihrer Taschenlampe in die Schwärze jenseits der Tür: eine steinerne Treppe, die hinauf ins Dunkel führte.
    »Hunter. Können Sie als letzte gehen?« fragte Door. »Ich marschiere voran. Richard kommt in die Mitte.«
    Sie stieg ein paar Stufen empor. Hunter blieb, wo sie war. »Lady?« fragte sie. »Gehen Sie nach Ober-London?«
    »Richtig«, sagte Door. »Wir gehen ins British Museum. «
    Hunter biß sich auf die Unterlippe. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich muß in Unter-London bleiben«, sagte sie. Ihre Stimme bebte leicht.
    Richard stellte fest, daß er bei Hunter, die sonst ausschließlich mühelose Überlegenheit und gelegentlich nachsichtige Belustigung zur Schau trug, gerade zum ersten Mal so etwas wie eine Gefühlsregung bemerkte.
    »Hunter«, sagte Door. »Sie sind meine Leibwächterin.«
    Hunter war die Sache offenbar unangenehm. »Ich bin in Unter-London Ihre Leibwächterin«, sagte sie. »Nach Ober-London kann ich nicht mitkommen.«
    »Aber das müssen Sie.«
    »Mylady. Ich kann nicht. Ich dachte, das hätten Sie begriffen. Der Marquis weiß schließlich Bescheid.«
    Hunter wird auf Sie aufpassen, solange Sie sich in Unter-London aufhalten, dachte Richard. Ja.
    »Nein«, sagte Door, das spitze Kinn vorgeschoben, die seltsam gefärbten Augen verengt. »Ich begreife nicht. Was ist es?« fügte sie spöttisch hinzu. »Irgendein Fluch oder so etwas?«
    Hunter zögerte, leckte sich die Lippen und nickte dann. Es war, als gäbe sie zu, an einer gesellschaftlich verpönten Krankheit zu leiden.
    »Hören Sie zu, Hunter«, hörte Richard seine eigene Stimme sagen, »seien Sie doch nicht dumm.«
    Einen Moment lang glaubte er, sie würde ihn schlagen, was schlimm gewesen wäre, oder sogar zu weinen anfangen, was noch sehr viel schlimmer gewesen wäre. Dann holte sie tief Luft und sagte in gemessenem Tonfall: »Ich werde an Ihrer Seite sein, wenn Sie sich in Unter-London aufhalten, und ich werde Ihren Leib vor allem erdenklichen Übel beschützen. Aber verlangen Sie nicht, daß ich Ihnen nach Ober-London folge. Das kann ich nicht.«
    Sie verschränkte die Arme unter ihren Brüsten, stemmte die Beine leicht gegrätscht auf den Boden und sah – Unterwelt hin oder her – aus wie das unverrückbare Standbild einer Frau, die nirgendwo hingeht, aus Messing und Bronze und Karamel gegossen.
    »Na gut«, sagte Door. »Komm, Richard.« Und sie stieg weiter die Stufen empor.
    »Hör mal«, sagte Richard. »Warum bleiben wir nicht hier unten? Wir können den Marquis holen und dann alle zusammen losziehen, und – « Door verschwand in der Dunkelheit über ihm. Hunter stand wie angewurzelt am Fuß der Treppe.
    »Ich werde hier warten, bis sie zurückkommt«, sagte Hunter zu ihm. »Sie können gehen oder bleiben, ganz wie Sie wollen.«
    Richard jagte im Dunkeln die Stufen hoch, so schnell er konnte. Bald sah er Doors Lampe über sich leuchten. »Warte!« keuchte er. »Bitte!«
    Sie blieb stehen und wartete darauf, daß er sie einholte. Und dann, als er sie eingeholt hatte und neben ihr auf einem Treppenabsatz stand, der so klein war, daß man Platzangst bekam, wartete sie, bis er wieder zu Atem kam.
    »Du kannst doch nicht einfach so weglaufen«, sagte Richard. Door sagte nichts; ihre Lippen wurden etwas schmaler; ihr Kinn hob sich fast unmerklich.
    »Sie ist deine Leibwächterin!« sagte Richard.
    Door begann, die nächste Treppe hinaufzusteigen. Richard folgte ihr. »Wir sind schließlich bald wieder zurück«, sagte Door. »Dann kann sie mich weiter bewachen. «
    Die Luft war dick, feucht, erdrückend. Richard fragte sich, wie man wohl ohne einen Kanarienvogel herausfand, ob die Luft giftig ist oder nicht, und begnügte sich damit zu hoffen, daß sie es nicht sei. »Ich glaube, der Marquis wußte wahrscheinlich wirklich Bescheid. Über ihren Fluch, oder was immer es ist«, sagte er.
    »Ja«, sagte sie. »Das nehme ich auch an.«
    »Er …«, begann Richard. »Der Marquis. Also, weißt du, um ehrlich zu sein, kommt er mir ein klein bißchen windig vor.« Door blieb stehen. Die Stufen endeten an einer schroffen

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