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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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Hauptattraktion des Tages. Vielleicht möchten Sie ja mitkommen?«
    Ich wusste einfach nicht, wie ich ihm mitteilen sollte, weshalb ich wirklich hier war. Also lächelte ich nur und sagte: »Das möchte ich auf keinen Fall verpassen.« Wieder klopfte ich dem Pferd sanft auf die Flanken und wagte eine Frage, unsicher, ob ich die Antwort wirklich hören wollte. »Wie heißt sie?«
    »Dorothy. Es wundert mich, dass sie nicht vor Ihnen weggelaufen ist. Normalerweise kann sie sich nicht für Fremde erwärmen.« Frank warf mir einen Blick zu. »Hey, alles in Ordnung bei Ihnen?«
    »Ich bin keine Fremde«, stieß ich hervor.
    »Bitte was?«
    »Dorothy und ich sind alte Bekannte. Ich kannte sie schon, bevor sie hierher kam, als sie noch in einem Stall in Montara stand.«
    Jetzt erst musterte er mein Gesicht noch einmal aufmerksamer. »Wie, sagten Sie, heißen Sie?«

    »Ellie.«
    »Enderlin?«, fragte er.
    Ich nickte.
    Er sah zu Boden. Ein paar Sekunden lang sprach keiner von uns. Dann endlich hob er den Kopf wieder. »Sie sind nicht hier, um die Kuh zu melken, oder?«
    »Nein.«
    Was er dann sagte, traf mich völlig unvorbereitet. »Ich habe wohl immer gewusst, dass Sie eines Tages hier auftauchen würden. In gewisser Weise habe ich vermutlich auf Sie gewartet.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Ich bin froh, dass Sie da sind. Ich möchte mit Ihnen sprechen.« Etwas aus der Fassung gebracht, wandte er seinen Blick dem Hügel zu. »Leider stehen da drüben lauter Kinder, die darauf warten, dass meine Show beginnt. Wollen Sie nicht ein bisschen bleiben? Heute Nachmittag, wenn alle weg sind, können wir uns zusammensetzen und reden.«
    »Okay«, willigte ich ein. Allmählich wurde mir ein bisschen schwindelig - alles passierte irgendwie viel zu schnell. Ich wusste nicht, welchen Reim ich mir auf diesen Mann, diesen Ort machen sollte. Ein Teil von mir wollte unbedingt die Antworten. Ein anderer, stellte ich fest, war überhaupt nicht bereit für das alles.
    In den folgenden Stunden nahm die Zeit etwas Dunstiges, Unwirkliches an. Ich saß auf einem Heuballen inmitten der Kinder, während Frank uns zeigte, wie man Tabitha melkt. Die Kinder durften es auch einmal probieren, eines nach dem anderen, gefolgt von ihren widerstrebenden Eltern. Und dann war ich an der Reihe, mich auf den kleinen Metallschemel zu setzen. Ich hatte noch nie zuvor eine Kuh gemolken, und es war völlig anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Die
Zitzen sahen aus wie ein Finger oder ein schlaffer Penis. Als ich quetschte und zog und die Milch in einen Plastikbecher spritzte, hob Tabitha ihren Schwanz und ließ zum Entzücken der Kinder einen großen, nassen Kuhfladen fallen. Ich lehnte ab, die Milch zu trinken, obwohl alle anderen ihre getrunken hatten.
    »Trink!«, brüllte jemand. Es war der kleine Junge, der den Hund Rowdy gejagt hatte. Dann fielen die anderen Kinder mit ein, bis alle im Chor riefen: »Trink! Trink!« Also gehorchte ich. Die Milch war warm und sonderbar süßlich. Es kostete mich einige Überwindung, sie herunterzuschlucken.
    »Ich bin nicht für das Landleben geschaffen«, hatte ich einmal zu Lila gesagt, als wir nur einen Steinwurf von genau diesem Fleck entfernt auf der Veranda des großen weißen Bauernhauses gesessen hatten. Wir hatten uns auf Schaukelstühlen niedergelassen und tranken Limonade, die sauer und breiig war und in der kleine Zuckerklümpchen schwammen, die sich nicht aufgelöst hatten. »Der Teil hier gefällt mir schon«, sagte ich und ließ die Eiswürfel in meinem Plastikbecher klirren. »Die Limonade, die Veranda, die Schaukelstühle. Wie bei den Waltons . Aber den Rest bräuchte ich nicht so dringend - nach Kartoffeln buddeln, Schweine füttern, den Pferdestall ausmisten, in aller Herrgottsfrühe aufstehen.«
    »Man würde sich daran gewöhnen«, sagte Lila.
    »Das glaube ich nicht.«
    Sie schaukelte vor und zurück, das Gesicht der Sonne zugewandt, und sprach mit geschlossenen Augen. »Man hat eine bestimmte Vorstellung davon, wie das eigene Leben ist, wie es sein soll, und man hat Angst davor, zu stark davon abzuweichen. Aber wenn man müsste - ich meine, nur mal rein theoretisch angenommen, das große Erdbeben käme und die Stadt ginge in Flammen auf und irgendwie würde es einen
aufs Land verschlagen, und der einzige Weg zum Überleben wäre, seine Nahrung selbst zu produzieren -, dann könnte man es auch. Vielleicht würde es einem sogar gefallen. Vielleicht würde man feststellen, dass es einem tatsächlich besser

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