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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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»Wir haben absolut nichts gemein. Er ist eigentlich sogar mehr dein Typ als meiner.«
    »Warum?«
    »Er steht auf Musik. Hat in irgendeiner komischen Band gespielt.«
    Es war eine flüchtige Bemerkung, die ich sofort wieder vergaß. Nur selten fuhr ich danach mit zum Hof, und meine
einzige weitere Begegnung mit William fand ein oder zwei Jahre später an dem Tag statt, als ich mit Lila hinfuhr, um Dorothy zu verkaufen. Als ich jetzt auf dem Melkschemel vor der Kuh saß und die warme Milch in dem Plastikbecher kreisen ließ, dachte ich an diesen Nachmittag vor so langer Zeit, an den gut aussehenden Mann, der ein bisschen in Lila verliebt zu sein schien. Damals war es mir so unbedeutend vorgekommen. William, Billy - langsam ergab das Ganze einen Sinn. What have I done my beautiful one/what have I done?
     
    Nach dem Melken nahm Frank die Kinder auf dem Heuwagen mit. »Was ist mit Anschnallen?«, fragte die blonde Frau, die vorhin ihre Kinder aus dem Auto geholt hatte, als ich ankam.
    »Das ist ein Heuwagen, Herzchen«, sagte Frank. »Die haben keine Sicherheitsgurte.«
    »Ich weiß nicht recht«, sagte die Mama zögernd, aber ihre Kinder brüllten, bis sie mitfahren durften.
    Danach zeigte Frank allen die Räucherkammer, wo ein ganzes Schwein kopfüber von der Decke hing. Die Kehle war durchgeschnitten, aber der Kopf sah immer noch erschreckend schweineähnlich aus. Der Junge, der vorhin am lautesten »Trink!« geschrien hatte, rannte schluchzend aus dem Schuppen.
    Im Anschluss gab es noch einen Kürbisschnitzwettbewerb. Um exakt halb fünf dankte Frank allen fürs Kommen und schickte sie mit einem Stück Kuchen als Geschenk nach Hause. Ich stand neben ihm vor dem Haus und sah dem letzten Auto nach, wie es langsam von der Auffahrt rollte.

35
    DER EINGANGSBEREICH DES BAUERNHAUSES war groß und quadratisch, mit breiten Holzdielen und verblassten Blümchentapeten. Mitten im Flur stand ein schmiedeeiserner Nähmaschinentisch, auf dem eine Vase mit Sonnenblumen arrangiert war. Beim Eintreten spürte ich ein deutliches Gefühl von Déjà-vu. Ich musste bei einem meiner wenigen Besuche mit Lila auch hier im Haus gewesen sein, obwohl ich keine konkrete Erinnerung daran hatte. Es roch nach Bohnerwachs, Aromapotpourri und dem modrigen, verbrannten Duft, der in der Luft hängenbleibt, wenn man einen Teppich mit einem alten Staubsauger reinigt. In einem Zimmer auf der rechten Seite, in dem mehrere alte Sofas und Stühle standen, konnte man auf dem blassgrünen Teppich die Spuren des Saugens noch erkennen.
    Gegenüber der Tür führte eine Treppe in den ersten Stock. Von oben hörte man eine hastige Bewegung, gefolgt von einem Knarren der Bodendielen, und ich erhaschte einen Blick auf jemanden, der sich in einen der oberen Räume zurückzog - das weiße Aufblitzen eines Ellbogens, der dunkle Schatten eines Schuhs. Staub wirbelte in den Lichtkegeln am oberen Treppenabsatz.
    »Hier entlang«, sagte Frank und führte mich durch das Zimmer mit dem Teppich an einem Flachbildfernseher und
einem mit Videos und DVDs vollgestopften Regal vorbei in die geräumige und lichtdurchflutete Küche. Ein schimmernder Edelstahlkühlschrank ragte neben einem uralten Wedgwood-Gasofen empor. In den Erker war ein Tisch mit zwei Bänken im klassischen Imbisslokal-Stil eingebaut, original mit rotem Kunststoffbezug. Die Einrichtung wirkte ebenso charmant wie leicht irritierend. Ich stellte mir vor, wie sich eine Ehe und Familie in diesem Haus entwickeln würde, unentschlossen, willkürlich wie das Mobiliar. Vermutlich hatten mehr Häuser Ähnlichkeit mit diesem hier als mit dem, in dem ich selbst aufgewachsen war, wo jedes Möbelstück mit Blick auf seine Beziehung zu den anderen ausgewählt worden war und jeder Gegenstand seinen festen Platz hatte.
    »Setzen Sie sich doch«, sagte Frank. Der Plastikbezug quietschte, als ich mich zwischen Bank und Tisch schob. Die Sitze rochen, als wären sie mit Desinfektionsmittel geschrubbt worden, und die blitzblanken Fenster stanken nach Fensterreiniger.
    »Normal oder entkoffeiniert?«, fragte Frank.
    »Normal, bitte.«
    Er holte eine Kaffeedose vom Schrank und löffelte Kaffeepulver in einen alten Perkolator. Als er ihn gerade auf den Herd stellte, klingelte ein Telefon, und er entschuldigte sich. Er war schon mehrere Minuten weg, als der Perkolator zu klappern begann. Ich stand auf, drehte das Gas ab und goss den Kaffee in Tassen, froh, etwas zu tun zu haben. Ich wanderte durch die Küche, in der Hoffnung,

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