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Niemand, Den Du Kennst

Titel: Niemand, Den Du Kennst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Richmond
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packen, weil er sich weigerte, es selbst zu tun. Wie ich ihn letztlich raus und in sein Auto bugsierte, weiß ich nicht mehr. Aber ich
schaffte es und fuhr ihn in die Stadt, zahlte für zwei Wochen im Voraus ein Hotelzimmer am Strand, gab ihm ein paar Hundert Dollar, um erst mal über die Runden zu kommen. Diese Nacht verbrachten wir zusammen in dem Hotelzimmer und sprachen uns aus. Er war abwechselnd zerknirscht und wütend, weinte und brüllte, aber er versprach mir, sich aus jeglichem Ärger rauszuhalten. In drei Monaten sähe ich ihn wieder, sauber und nüchtern und mit einem Job. »Vielleicht schreibe ich sogar ein paar Songs«, sagte er. Aus seiner Stimme klang solche Hoffnung, ich wollte ihm unbedingt glauben.
    Am nächsten Tag holte Nancy mich mit dem Auto in der Stadt ab. Ich muss bekennen, dass ich mich wie von einer Last befreit fühlte. Ich redete mir ein, dass ich nicht mehr für ihn verantwortlich sei, dass er jetzt allein klarkommen müsse. Natürlich weiß ich heute, dass das falsch war - hätte ich es irgendwie geschafft, ihn hier draußen auf dem Hof zu halten, wären die ganzen schrecklichen Dinge später nie passiert, und vielleicht wäre er noch am Leben. Doch damals hatte ich das alles so satt, ich wollte ihn einfach nur los sein. Man erkennt die Folgen immer erst, wenn es zu spät ist, nicht wahr?«
    Es war offenbar mehr als eine rein rhetorische Frage, er schien tatsächlich auf eine Antwort zu warten, doch ich hing immer noch ein paar Sätze vorher fest. »Er ist tot?«
    »Vor sechs Jahren«, sagte Frank. »Tally hat ihn gefunden, draußen in seinem Auto. Er hatte einen Schlauch an den Auspuff geklemmt und durch das Fenster gesteckt.«
    »Aber ich dachte …«
    »Was?«
    »Als ich hereinkam, habe ich oben jemanden bemerkt. Ich dachte …«

    »Das war Roy«, meinte Frank. »Tallys Verlobter. Sein Mietvertrag für die Wohnung in der Stadt ist ausgelaufen. Er wohnt ein paar Wochen lang bei uns, bis er etwas Neues gefunden hat.«
    »Ach so.«
    Frank schwieg kurz. »Sie hatten gehofft, ihn zu sehen.«
    Ich nickte.
    »Wenn Sie mir die Frage gestatten, wie haben Sie ihn hier ausfindig gemacht? Er hat sich lange Zeit sehr bedeckt gehalten.«
    Ich erzählte Frank von Ben Fong-Torres, von seinem Artikel und seiner zufälligen Begegnung mit Billy in San Francisco - und von der Kassette.
    »Eine Kassette? Er hat mir nie erzählt, dass er neue Stücke geschrieben hat. Manchmal hörte ich ihn Gitarre spielen, oben in seinem Zimmer, gelegentlich sogar singen. Aber ich dachte immer, das wären alte Sachen. Ich wollte ihn überreden, für uns zu spielen, aber er sträubte sich. Er sagte, das gehöre zu einem anderen Leben. Hin und wieder spielte er für Tally, aber nur, wenn sonst niemand in der Nähe war.« Er beugte sich vor. »Haben Sie sie dabei?«, fragte er. »Die Kassette?«
    »Ja.«
    »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viel es mir bedeuten würde, sie anzuhören.«
    Wir gingen in das Zimmer mit dem grünen Teppich, und Frank schob das Tape in einen alten Kassettenrekorder. »Warten Sie bitte noch, bevor Sie das abspielen«, sagte ich. »Ich würde gern erst den Rest der Geschichte hören.«

36
    »DER KÜNSTLERNAME IHRES BRUDERS war Billy, richtig?«, fragte ich.
    Frank stand neben dem Kamin. In einem Kupferkessel zu seinen Füßen war Feuerholz gestapelt. »Ja, die Band war der Ansicht, dass Billy Boudreaux lässiger klingt als William. Aber für mich blieb er immer Will. Ich weiß noch, bevor der ganze Ärger anfing, saßen wir einmal in Petaluma in einem kleinen italienischen Restaurant, und ein Junge kam zu ihm und sagte: »Hey, du bist doch Billy Boudreaux.« Will schrieb ihm ein Autogramm in sein Schulbuch, und da erst wurde mir bewusst, dass er ein Doppelleben führte. Für mich war er immer nur mein kleiner Bruder, derselbe, der miserable Noten in der Schule und später nie mehr als fünfzig Mäuse auf dem Konto hatte. Aber für andere Leute war er ein kommender Rockstar. Ich dachte mir, dass man wohl ein ganz bestimmter Menschentyp sein musste, um das durchziehen zu können, um diese beiden Identitäten voneinander getrennt zu halten. Am einen Abend stand er vor Hunderten kreischender Fans und am nächsten schlürfte er in seiner schäbigen Einzimmerwohnung im Tenderloin eine Dosensuppe.«
    »Sie sagten, er tauchte einen Monat nachdem Sie ihn vor die Tür gesetzt hatten, eines Morgens plötzlich hier auf?«, fragte ich. »Was war geschehen?«

    Frank kam zu mir herüber. Es standen diverse

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