Niemand, Den Du Kennst
Hause fahren. Sie sagte, das sei nicht nötig, aber er bestand darauf, dass es keine Umstände mache.«
Während ich Franks Geschichte lauschte, fühlte ich mich wie bei einem Gruselfilm, wenn die Heldin in das dunkle Haus geht. Das Drehbuch ist schon geschrieben, der Film gedreht, aber das hält einen nicht davon ab, mit den Schauspielern zu sprechen. Geh nicht mit , beschwor ich Lila in meinem Kopf. Geh nicht mit . Aber natürlich wusste ich, dass sie längst in das Auto gestiegen war. Es gab keine Möglichkeit, die Handlung umzuschreiben, keine Möglichkeit, den Film zurückzuspulen.
»Sie fuhren die Market Street entlang, als Will die Hütte Ihrer Eltern am Russian River einfiel. Er und Lila hatten sich darüber unterhalten, als sie damals Dorothy auf dem Hof untergestellt hatte. Einmal hatte sie ihm sogar ein Foto davon gezeigt. Er lechzte nach einer Dusche, einem ruhigen Plätzchen, um alles wieder ins Lot zu bringen. Und sie dachte kurz darüber nach, schien es in Betracht zu ziehen. Aber dann sagte sie, das könne sie ihm nicht erlauben. Die Hütte gehöre ihren Eltern, nicht ihr, und sie wisse, dass sie damit nicht einverstanden wären.
Und an diesem Punkt geriet die Sache aus dem Gleis. Ich meine, die ganze Zeit erzähle ich Ihnen, was für ein guter Kerl Will war, und tief im Herzen glaube ich auch, dass er im Grunde gut war. Aber es gab auch eine andere Seite an ihm, wie soll ich das formulieren, eine bestimmte Rücksichtslosigkeit. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann ließ er nicht locker, und wenn man ihm einen Stein in den Weg legte, dann verstärkte das nur noch seine Entschlossenheit, sich durchzusetzen. Manchmal war das ein großartiger Charakterzug - das ist zweifellos ein wichtiger Grund dafür, dass seine Band eine Zeit lang so erfolgreich war. Doch dann wieder konnte es auch beunruhigend sein. Wenn er eine Idee hatte, die in seiner Wahrnehmung vollkommen vernünftig
war, und jemand ihn abschmetterte, dann war er imstande, jedes gesunde Maß zu verlieren. Und ich weiß, dass genau das in dieser Nacht passierte. Sein Gehirn setzte einfach aus.«
»Warum ließ sie sich überhaupt von ihm mitnehmen?«, fragte ich. »Sie hatte Ihren Bruder jahrelang nicht gesehen. Warum hat sie nicht mich angerufen? Ich hätte sie doch abgeholt. Es war ein Mittwoch, und mittwochs hatte ich immer das Auto. Wenn ich ihr doch nur an diesem Morgen den Wagen überlassen hätte …«
Frank streckte die Hand aus, als wollte er sie mir auf die Schulter legen, zog sie dann aber zurück. »Es tut mir leid«, sagte er. »Sind Sie sicher, dass Sie das jetzt hören wollen? Ich kann so lange warten, wie Sie wollen.«
»Ist schon okay. Erzählen Sie weiter.«
»Will akzeptierte kein Nein. Irgendwann bemerkte Ihre Schwester, dass sie falsch abgebogen waren, aber als sie ihn darauf hinwies, fuhr er einfach weiter. Bei der Golden Gate Bridge wusste sie, wohin er wollte. Sie verlangte von ihm, umzukehren, aber er tat es nicht. Er entschuldigte sich, versicherte ihr, dass er ihr nichts tun würde. Er musste nur zu der Hütte, sagte er ihr - inzwischen hatte er für sich beschlossen, dass das die Lösung all seiner Probleme wäre. Und wenn sie dort ankämen, könnte sie ihn hereinlassen. Es war sehr wichtig für ihn, müssen Sie verstehen, dass sie ihn ins Haus ließ. Er wollte anständig durch die Tür gehen, wie ein geladener Gast.
Ich habe unzählige Male darüber nachgedacht, und es ergibt für mich einfach keinen Sinn. Ich habe ihn geradeheraus gefragt, was er vorhatte, wenn sie bei der Hütte ankämen. Wollte er das arme Mädchen als Geisel nehmen? Und er sagte, so weit habe er nicht vorausgeplant. Er war wütend, dass ich überhaupt so etwas denken konnte. ›Ich bin kein Kidnapper‹, sagte er. Als ich meinte, doch, genau das sei er, fing er an
zu weinen und jammerte, alles sei völlig schiefgelaufen, er habe es total verpfuscht.
Er glaubte ehrlich, dass er während der Fahrt an ihr Mitleid appellieren, sie überzeugen könnte, ihn dort unterschlüpfen zu lassen, nur für ein oder zwei Wochen. Er war sicher, irgendeine Hilfsarbeit in Guerneville finden zu können, und gleich von seinem ersten Gehalt würde er sich eine Wohnung mieten, weil es dort so viel billiger war als in San Francisco. Er würde sich auch in der Hütte nützlich machen, um sich seine Unterkunft zu verdienen. Das alles erzählte er ihr, und sie sagte immer nur Nein, flehte ihn an, sie nach Hause zu bringen. Aber er fuhr weiter.«
Ich
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