Niemand, Den Du Kennst
Lila?«
»Aber ja. Doch obwohl er seinen linken Arm gegeben hätte, um mit ihr zusammen zu sein, war er genauso neidisch auf ihre mathematischen Fähigkeiten wie auf Peters, wahrscheinlich sogar noch mehr.«
»Aber er hat den Hilbert-Preis bekommen.« »Ja, diese Sache.« Carroll runzelte die Stirn. »Ohne die frühere Forschung mit Peter zusammen hätte er nie eine Chance gehabt. Diese Arbeit legte den Grundstein für seinen Artikel über die Hodge-Vermutung. Jede wirklich neue Idee, die aus dieser Zusammenarbeit erwuchs, konnte Peter zugeschrieben werden. Aber es lag nicht in Peters Wesen, deshalb einen Aufstand zu machen. Jedenfalls, nachdem Ihre Schwester gestorben und die Polizei da war, gelobte Strachman unter der Bedingung Stillschweigen, dass er zusammen mit mir und Peter einen Artikel verfassen durfte.«
»Und Sie haben eingewilligt?«
»Sie müssen verstehen, Peter lag mir sehr am Herzen. Das tut er immer noch. Ich weiß nicht, woran genau es liegt, aber er hat immer die väterliche Seite in mir zum Vorschein gebracht.«
Plötzlich lächelte Carroll, stand auf und streckte mir die Hand hin. »Es war wunderbar, sich mit Ihnen zu unterhalten,
Ellie, aber es wird spät für mich. Meine Frau fragt sich sicher, wo ich bleibe.«
»Danke.« Ich schüttelte ihm die Hand.
»Soll ich den Wachdienst für Sie rufen? Dann schicken sie jemanden, der Sie zum Auto begleitet. Man kann nicht vorsichtig genug sein …«
»Nicht nötig.«
Als ich mich umdrehte und zur Tür ging, legte er seine Hand ganz leicht unten auf meinen Rücken. Es war eine dieser männlichen Gesten, die ich schon immer als unangenehm empfunden hatte, gleichzeitig galant und gönnerhaft - zwei Seiten derselben Medaille.
»Was ich mich schon länger frage«, sagte er, die Hand immer noch an dieser vertraulichen Stelle ruhend.
Ich drehte mich zu ihm um, sodass seine Hand in der Luft hängen blieb. »Ja?«
»Lila - hat sie je von mir gesprochen?«
»Ja, das hat sie.«
Seine Schultern sackten herunter, und ich sah einen Anflug von Lächeln auf seiner Miene.
Ich beließ es dabei. Ich erzählte ihm nicht, dass sie ihn nur einmal beiläufig erwähnt hatte, als genialen Professor, mit dem sie gerne zusammenarbeiten würde. Wie McConnell war auch ihre Freundschaft mit Carroll, waren die Abende in seinem Haus ein Geheimnis gewesen, das sie vor mir verbarg.
Meine Schritte hallten auf dem langen Flur. Ich kam an einem Zimmer mit einem kleinen Schild mit der Aufschrift Stanford Journal of Mathematics vorbei. Ein Lichtstreifen leuchtete unter der Tür hervor. War das der Raum, in dem Strachman vor all diesen Jahren Lila und McConnell ertappt hatte?
Den Autoschlüssel in der Hand, lief ich rasch zu meinem Wagen, den ich verbotenerweise auf dem Fakultätsgelände unmittelbar neben dem Gebäude geparkt hatte. Jemand hatte mir einen weißen Zettel unter den Scheibenwischer gesteckt. Ich zog ihn heraus - ein Strafzettel. Die Politessen schliefen offenbar nie.
33
ALS ICH EIN PAAR TAGE SPÄTER hinter Golden Gate Coffee parkte, sah ich Henrys silbernen Prius dort stehen. Dora pfiff, als ich hereinkam. »Hast du was vor?«
»Alles andere war in der Wäsche«, sagte ich. Vielleicht waren der schwarze Bleistiftrock und die kniehohen Stiefel zu dick aufgetragen. Ich konnte mich gar nicht erinnern, wann ich zuletzt etwas in der Art zur Arbeit getragen hatte.
Sie zwinkerte. »Henry wird begeistert sein.«
Im Verkostungsraum begann ich mit der Vorbereitung der letzten Proben: eine gelbe Bourbon-Bohne aus El Salvador, einen Caturra aus der Region Boquete in Panama und einen Peaberry aus Costa Rica. Gerade hatte ich das Wasser in die Gläser gegossen, als Henry aus dem Röstraum hereinspaziert kam, das Gesicht von der Hitze gerötet. Er sah irgendwie anders aus, und ich brauchte einen Augenblick, um festzustellen, warum.
»Du hast dir die Haare schneiden lassen«, sagte ich.
Verlegen strich er mit der Hand über seinen Kopf. »Ich war bei meinem alten Friseur in Castro, aber Dottie ist nicht mehr da. Die Neue hat es ein bisschen übertrieben.«
»Sieht gut aus.«
»Du mochtest sie doch nie kurz.«
Ich lächelte. »Sie wachsen ja nach.«
Er zog einen Stuhl heran und drehte ihn um, dann setzte er sich rittlings darauf. Es war eine Angewohnheit, die ich schon immer seltsam liebenswert fand.
»Weißt du noch, als du mir mal die Haare geschnitten hast?«
»Ja. Damals dachte ich, das wäre unser Ende. Kein guter Start für eine Beziehung.«
»Zugegeben, es
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