Niemand ist eine Insel (German Edition)
und diesem Reporter, habe ich gelesen.«
»Tatsächlich?«
»Na, haben Sie’s etwa nicht gelesen?«
»Nein«, sagte Lejeune. »Fahren Sie uns in den ersten Hof hinein, bitte, vor die Hals-Nasen-Ohren-Klinik.«
»Können vor Lachen«, sagte der Chauffeur. »Tut mir leid, weiter komme ich nicht. Da drüben ist der Eingang.«
Bracken zahlte, dann verließ er nach Lejeune den Wagen. Beide wurden angerempelt, fotografiert, angeschrien. Die Reporter wollten wissen, was Bracken hier zu tun habe, was der berühmte Lejeune hier zu tun habe, wo ich sei. Bracken gab keine Antwort. Er ging hinter Lejeune her, der sich, gewaltig wie ein Rammbock, durch die Journalisten schob. Vor dem Eingang der Klinik standen zwei Polizisten. Sie bemühten sich – mit äußerst mäßigem Erfolg –, Bracken und Lejeune eine Gasse zu bahnen. Endlich waren die beiden im Haus.
Ein junger Arzt trat zu ihnen.
»Monsieur Bracken, Monsieur Lejeune?«
»Ja«, piepste der Fettwanst. »Sie sind Doktor Rivière, wir haben telefoniert, ich erkenne Ihre Stimme wieder. Alles bereit?«
»Alles bereit«, sagte der junge Arzt. Er führte die beiden Besucher zu einem Zimmer, rechts vom Eingang. In dem Zimmer standen Dr. Sigrand und Ruth. Auf dem Boden erblickte Bracken eine Tragbahre und auf ihr, unter Decken, festgezurrt, das Gesicht noch frei, Clarissa.
»Hy, Clarissa«, sagte Bracken.
Sie nickte, bleich und entschlossen.
»Hören Sie«, sagte Dr. Sigrand, »das muß jetzt aber schnell gehen, sonst bekommen wir hier Unannehmlichkeiten.«
»Wenn Sie bereit sind, wir sind’s«, sagte Lejeune. Sigrand ging zu einem Wandtelefon und sprach kurz. »Die Ambulanz fährt nun vor«, sagte er danach. »Die Träger kommen sofort.«
»Danke, Monsieur le Docteur«, sagte Bracken. Dann kniete er neben Clarissa nieder. »Danke auch Ihnen, Clarissa. Tut mir leid, aber jetzt werden Sie eine Weile nichts sehen.« Er betrachtete die vom Gesicht zurückgeschlagene Decke und wandte sich an Sigrand: »Wird sie genug Luft kriegen?« Sigrand nickte, kniete gleichfalls nieder und zeigte Bracken mehrere Schlitze im oberen Teil der Decke. Dann knüpfte er diese über Clarissas Gesicht fest. Zwei Träger kamen herein, hoben die Bahre wortlos auf und gingen wieder zum Ausgang. Bracken und Lejeune folgten. Der Anwalt verneigte sich noch vor Ruth und Sigrand.
»Meinen allerherzlichsten Dank.«
Ruth und Sigrand antworteten nicht.
Na ja, und dann ging die Sache richtig los. Vor dem Klinikeingang hatte eine große Ambulanz gehalten. Auf einmal waren fünf Polizisten da – und dazu die beiden von vorhin. Sie drängten, prügelten und traten sich mit den Reportern, die wie die Irren vorwärtsstürmten. Bracken sagte mir später, so etwas von Gebrüll und Gefluche habe er noch bei keiner Premiere Sylvias erlebt. Ein besonders Schlauer versuchte, die Decke von Clarissas Kopf zu reißen. Bracken hob einen Fuß und traf ihn bildschön genau dorthin. Der Reporter setzte sich auf das Pflaster.
Während immer noch fotografiert wurde, während die Pfleger die Bahre in die Ambulanz hoben, rannten viele Reporter schon zu ihren Wagen. Lejeune und Bracken sprangen zuletzt in den Krankenwagen. Die Sirene heulte auf, das Blaulicht begann zu zucken. Der Fahrer trat auf das Gaspedal und fuhr an.
Raus auf die Straße! Bracken sah durch das rückwärtige Fenster, wie die Reporter in ihre Wagen sprangen und diese starteten. Fünf Minuten später fuhren sie als gewaltiger Konvoi hinter dem Wagen mit dem roten Kreuz her.
»Voilà«, sagte der fette Lejeune. Und zog eine Tafel Schokolade aus der Tasche. »Mit Nüssen«, sagte er.
26
D ie Ambulanz fuhr nach Le Bourget, dem kleineren der beiden Pariser Flughäfen. Sie fuhr auf das Rollfeld, auf dem neben einigen Linienmaschinen drei Charterflugzeuge standen. Die Bahre wurde möglichst umständlich in eine der Chartermaschinen verladen.
Die Reportermeute war inzwischen erschienen, Lejeune hatte Auftrag gegeben, mit dem Verladen ein wenig zu warten. Nun war es dunkel geworden. Eine Viertelstunde lang blieb das Flugfeld vor der Chartermaschine taghell von Elektronenblitzen erleuchtet.
Der Anwalt hatte wirklich alles ganz fabelhaft vorbereitet. Die Crew der Chartermaschine kam erst, als die Bahre schon im Flugzeug war – drei Mann. Sie erzählten bereitwillig jedem Reporter, der es hören wollte, daß Monsieur Bracken ihre Maschine für einen Flug nach Madrid gemietet habe. Daraufhin – Lejeune ließ sich nun alle Zeit der Welt –
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