Niemand ist eine Insel (German Edition)
»Weg hier! Da geht gleich was los!«
Ich habe schon berichtet, was dann gleich losging, mein Herr Richter … Nun: Während alle Reporter in ihrer Chartermaschine hinter jener mit Clarissa her nach Madrid flogen, wurde Babs, für den Transport besonders geschützt, in Schlaf versetzt und, begleitet von Ruth, in einer Ambulanz vom Hôpital Sainte-Bernadette zum Flughafen Orly gefahren, wo ich am Fuß der Gangway von Sylvias SUPER-ONE-ELEVEN wartete. Mein und Babs’ Gepäck lag bereits im Jet. Suzy hatte es, meinem Wunsch folgend, nach Orly bringen lassen. Einer der beiden Männer, die mit den Koffern kamen, übergab dem Captain einen Brief an mich. Ich war schon eine Stunde vor dem Eintreffen des Krankenwagens hiergewesen und hatte gelesen, was Suzy mir schrieb, dies: ›Bitte, komm zurück. Ich tu alles, was Du willst, aber komm zurück, bitte . Suzy‹.
27
Gestatten, Nero.
Ihr habt sicher schon von mir gehört. Ich war Kaiser im alten Rom. Aber viel lieber war ich Rennfahrer, Schauspieler und Sänger. Ich habe meine Mutter umgebracht und meinen Lehrer Seneca zum Selbstmord gezwungen. Ich habe Rom angezündet und Christen brennend als lebendige Fackeln in meinen Garten gestellt. Es war ein sehr wüstes Leben – bis zu meinem schlimmen Ende im Jahre 68 nach Christus. Falls euch meine Story interessiert, sagt das Frau Dr. Reinhardt – es gibt ein ganz tolles Buch über mich in der Krankenhausbibliothek!
68 nach Christus, dachte ich. Hätte ich nicht gewußt.
Die Worte standen, rot und groß, auf einem Bogen Packpapier, der an einer Wand im Foyer des Sophienkrankenhauses für Kinder in Nürnberg klebte.
Von wem immer dieses Plakat stammte, er hatte, vermutlich aus einem Prospekt, den Kopf einer Bronzebüste Neros geschnitten und auf das Papier geklebt. Die Worte, die ich eben geschrieben habe, kamen in einer großen Sprechblase aus dem Mund des ausgeschnittenen Kopfes. Das Plakat bildete einen höchst wirkungsvollen Blickfang.
Zu dieser Stunde – 21 Uhr 45 – befanden sich außer mir nur zwei Menschen in der Halle: der diensthabende Pförtner an seinem Schiebefenster und ein mittelgroßer Mann in blauem Wintermantel. Dieser Mann trug eine Brille wie ich. Der Mann sah bedrückt aus.
Wir waren, wie vorgesehen, in Nürnberg gelandet, eine Ambulanz des Sophienkrankenhauses hatte uns erwartet, und Babs war, mit größter Vorsicht, aus der SUPER-ONE-ELEVEN in den Krankenwagen umgebettet worden. Trotzdem hatte es ein schlimmes Erwachen gegeben. Babs war kaum im Krankenwagen, als sie zu sich kam. Sie befand sich nun in einem Zustand vollkommener Verwirrung. Sie hatte Angst, und die Schmerzen kehrten wieder, während die Ambulanz bereits über die Moshofer Hauptstraße und die Johann-Sperl-Straße der breiten Erlanger Straße entgegenraste, die dann (der Nürnberger Flughafen liegt nördlich der Stadt) in fast rein südlicher Richtung zum Stadtzentrum führt.
Ruth und ein junger Arzt des Krankenhauses, der mit dem Krankenwagen gekommen war, bemühten sich um das Kind, dessen Glieder wild durch die Luft fuhren.
»Reaktion auf den Flug«, sagte Ruth über die Schulter zu mir.
Babs schrie. Die Sirene des Wagens heulte.
Die Erlanger Straße, die wir entlangrasten, wechselte ihren Namen nun in Bucher Straße, ich sah ein Schild.
Babs schrie und schrie und schrie.
»Schneller!« sagte Ruth dem Chauffeur durch ein kleines Fenster. Der trat das Gaspedal ganz durch. Die Ambulanz schoß vorwärts, über Rotlichter und Kreuzungen hinweg.
Ich war noch nie in Nürnberg gewesen. Im Stadtteil Sankt Johannis (Ruth sagte mir, wo wir uns nun befanden) nahm die Ambulanz Abbiegungen in andere Straßen auf zwei Rädern. Dann hatten wir das Krankenhaus erreicht. Der Krankenwagen hielt im Hof. Ich schien für Ruth nicht mehr zu existieren. Sie kümmerte sich nur noch um Babs, die mitsamt der Bahre auf einen dieser Operationswagen geschoben und davongerollt wurde – in die Klinik hinein. Ich wollte folgen. Der junge Arzt hielt mich zurück.
»Sie können nicht mitkommen, Herr Norton.«
»Wer sagt das?«
»Ich sage das. Was wir jetzt mit dem Kind tun müssen, um sein Leben nach dieser Anstrengung zu erhalten, ist … das müssen wir allein tun. Bitte gehen Sie wieder aus dem Hof hinaus und warten Sie in der Eingangshalle. Sobald Frau Doktor Reinhardt kann, wird sie zu Ihnen kommen. Bitte!«
Also tat ich, was er verlangte. Es war sehr kalt in Nürnberg, und der Himmel war sehr klar. Ich ging aus dem Hof, um die Klinik
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