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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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von unendlich vielen Varianten der Verstörtheit, der Schuldgefühle und der Verzweiflung«, sagte Ruth.
    Wir saßen auf der großen Wiese vor dem kleinen Haus, in dem ich mit Babs nun wohnte, auf einer Bank, die Sonne schien noch, alles war voller Blüten, Schönheit, das alte Haus zugesponnen mit Efeu und Clematis, und es war still, als wären wir die einzigen Menschen auf der Welt.
    Später Nachmittag. Die Busse mit allen Kindern waren weggefahren, die Erwachsenen desgleichen, sie hätten Autos (keine Rolls, keine Maseratis!), doch bei weitem nicht alle.
    Viele wurden von anderen mitgenommen.
    Ich hatte dem Rektor gesagt, daß ich dringendst morgen nach Madrid fliegen müsse. Er hatte nicht gefragt, warum.
    »Klar, fliegen Sie, wenn es so dringend ist. Deshalb haben wir Ihnen diese Stelle hier gegeben – damit Sie immer weg können für ein paar Tage, ohne daß jemand Verdacht schöpft. Frau Pohl wird Sie vertreten.« Frau Herta Pohl war die zweite Lehrerin, Halleins Vertraute – eine sehr attraktive, stets außerordentlich schick gekleidete junge Frau (einfache Kleider, nicht Pucci, nicht Leonard, nicht Dior – und doch schick!), die mit einem Versicherungsagenten verheiratet war, zwei sehr hübsche Kinder hatte und ganz nahe, in Heroldsheid-Ort, in einem modern eingerichteten kleinen Haus wohnte. Es war nach ihren eigenen Plänen gebaut, so hatte Frau Pohl mir einmal erzählt, als ich zum Tee eingeladen war – ich war oft bei den Pohls eingeladen –, und sie hatten noch immer gewaltige Hypothekenschulden auf dem Haus.
    »Aber es gehört uns! Und wir sind glücklich!«
    Das war also Frau Pohl, die mich immer vertrat, wenn ich wirklich oder angeblich zu Behörden verreisen mußte, Frau Pohl, die mir überhaupt beigebracht hatte, wie ich den ganzen Schreibkram am besten erledigte – ich hatte doch keinen blassen Schimmer gehabt.
    »Und Frau Grosser kümmert sich wieder einmal solange um Babs«, hatte Rektor Hallein gesagt.
    Was Hallein da von Frau Grosser gesagt hatte, die sich um Babs in meiner Abwesenheit kümmern würde, so war das ein prächtig funktionierendes Arrangement, durch ihn zustande gekommen. Ich werde gleich erklären, wie sich das mit Frau Grosser verhielt.
    Ja, da saßen wir auf der Bank vor dem eingesponnenen Häuschen, Ruth und ich, im Sonnenschein, in Schönheit, Frieden, Stille, umgeben von blühenden Blumen – und aus dem Innern des Hauses ertönte ganz leise Musik. Kennen Sie diese alten Illustrationen, mein Herr Richter – Stahlstiche sind das. Kleine Leute in ihrem ›Glück im Winkel‹. Kitsch? Genauso müssen Ruth und ich ausgesehen haben auf der Bank vor dem Häuschen, im Nachmittagssonnenschein.
    »Das geschieht häufig, daß eine Frau sich benimmt wie Sylvia?« fragte ich fassungslos.
    »Sehr häufig, ja. Andere Frauen besaufen sich, werden Schlampen, nehmen sich das Leben, versuchen den Mann umzubringen …« Feine Aussichten. »Ich habe dir einmal gesagt, daß niemand ungeschoren davonkommt mit solchen Kindern, wenn er nicht vorher ein völlig gefestigtes und – entschuldige – geordnetes Leben geführt hat. Das hast du nicht, das hat Sylvia nicht.« Ruth sagte seit ein paar Wochen nicht mehr Mrs. Moran.
    »Nein. Das haben wir nie.«
    »Sylvia ist gewiß eine große Schauspielerin, die größte meinetwegen – aber sie hat jetzt einen Schlag fürs Leben weg. Das, was passiert ist – von dem Sich-dir-Verweigern angefangen –, ist Hysterie. Richtige Hysterie. Hat gar nichts damit zu tun, daß sie so spielt, wie noch niemals eine Frau im Film gespielt hat. Im Gegenteil. Gerade diese Hysterie und gerade dieser Film, in dem es um ein Kind geht, machen eine solche Hochleistung erst möglich!«
    »Aber Sylvia gefährdet sich, den Film, ihre Karriere, ihre Zukunft, alles!«
    »Gewiß. Sie … tut mir leid, Phil. Sie ist eine arme, bedauernswerte Frau. Gebe Gott, daß das nicht noch schlimmer wird.«
    »Noch schlimmer?«
    »Das, was sie jetzt tut, ist noch gar nichts. Es gibt Ärgeres.«
    Und ein leichter Wind erhob sich nach der Hitze des Tages. So still war es, jetzt hatte auch die Musik aufgehört. Ruth legte eine Hand auf meine.
    »Schlimm für dich«, sagte sie. »Sehr schlimm, ich weiß. Halt es aus, bitte. Bitte, bitte, Phil, halt es aus.«
    »Ich halte alles aus, solange du bei mir bist«, sagte ich.
    Aus dem kleinen Häuschen kam Babs gehinkt. Sie drückte sich an mich und strich über meinen Arm. Dann strich sie über Ruths Arm. Sie schaffte es nicht

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