Niemand ist eine Insel (German Edition)
Nürnberg gekommen: der Kameramann Roy Hadley Ching, der Autor Mike Toran, der Architekt Joel Burns, der Cutter Allen Lang – wir hatten fast genau dasselbe Team wie beim KREIDEKREIS, und wir wohnten alle im größten Hotel der Stadt, im FRÄNKISCHEN HOF.
»… Sylvia Moran, für ihren Film DER KREIDEKREIS mit dem ›Oscar‹ ausgezeichnet, international berühmte amerikanische Filmschauspielerin, verweigert nach wie vor jede Auskunft darüber, warum sie den einundsechzigjährigen, einstmals sehr beliebten Schauspieler Romero Rettland erschossen hat …«
20 Uhr 05. Fernsehen. Tagesschau der ARD. Ein Sprecher, hinter ihm Archivaufnahmen von Sylvia, von Rettland. Ich saß dem Apparat in Ruths Wohnung gegenüber.
»… dies teilte vor einer Stunde Hauptkommissar Sondersen« (auch ein Archivbild, seltsam, warum keine Ausschnitte aus der Pressekonferenz?) »den Journalisten mit. Wie bekannt, wurde Sylvia Moran nach der Tat und nach Behandlung eines schweren Schocks durch Professor Doktor Eschenbach von der Psychiatrischen Universitätsklinik Erlangen ins Polizeipräsidium gebracht und dort von Hauptkommissar Sondersen einem langen Verhör unterzogen. Anschließend erging Haftbefehl, und die Schauspielerin wurde an das Untersuchungsgefängnis des Landgerichts Nürnberg-Fürth überstellt. Ihr Verteidiger ist der in der Bundesrepublik wohlbekannte Rechtsanwalt Doktor Otto Nielsen …«
Ruths Wohnung war nur mittelgroß, fast alle Wände bedeckten Bücherregale, ein richtiges Schlafzimmer hatte sie nicht, sie schlief auf einer ausziehbaren Couch. Die modernen Möbel waren alle in hellen Farben gehalten, ebenso die Teppiche. An der höchsten Stelle der Bücherregale thronte ein alter Buddha, dem der rechte Arm fehlte. An einer Wand der Bibliothek hing eine sehr dünne Tafel aus Gold, darauf eingeritzt war ein Satz – ein sehr schöner Satz. Ich hatte Ruth gefragt, von wem er stamme. Von einem Schriftsteller, hatte sie mir gesagt. Die Worte gefielen ihr so, daß sie sich die Tafel selbst zum Geschenk gemacht hatte. Der Vater eines ihrer kranken Kinder war Goldschmied. Er hatte diese dünne Tafel mit dem Satz geschaffen. Wie hieß der Schriftsteller? Ruth konnte sich nicht erinnern. Sie versuchte es immer wieder, der Name fiel ihr nicht ein …
»Eine Klärung des nach wie vor scheinbar sinn- und motivlosen Verbrechens gestaltet sich immer schwieriger, so erklärte Hauptkommissar Sondersen. Achtung! Die Polizei bittet um Ihre Mitarbeit! Dringend gesucht werden alle Personen, die Romero Rettland« (ein Bild von ihm, es blieb stehen) »am oder vor dem achten Oktober 1973 gesehen oder gesprochen haben. Das kann in jedem Ort der Bundesrepublik, aber auch im Ausland der Fall gewesen sein …«
Auf einem Tisch, niedrig, mit Glasplatte, lagen Zeitungen. Ich las Schlagzeilen: SYLVIA MORAN BEHARRT: »ICH HABE GETÖTET!« – WARUM MORDETE WELTSTAR SYLVIA MORAN? – »KANN MICH NICHT AN DAS GERINGSTE ERINNERN«, SAGT SYLVIA MORAN …
»… diesen Aufruf der deutschen Kriminalpolizei verbreiten darum auch alle europäischen Rundfunk- und Fernsehstationen sowie alle Stationen in Übersee …« (Nun wechselnde Bilder Romero Rettlands, ganze Figur, Profil und nochmals und sehr groß Rettlands Gesicht, von vorn) »… Hier folgt eine Beschreibung des Toten: Romero Rettland wurde am neunten August 1912 in Myrtle Creek, im Staate Oregon, Nordamerika, geboren. Es steht fest, daß Rettland zur Zeit seines Todes praktisch mittellos war. Er trug alte Kleidung und wirkte verwahrlost. Rettland war amerikanischer Staatsbürger, er sprach fließend deutsch mit leichtem Akzent, aber außer Deutsch keine andere Fremdsprache. Er war einen Meter fünfundsiebzig groß, schlank, hatte graues Haar, buschige graue Brauen, eine gelbliche, krank wirkende Gesichtsfarbe und …«
Ruth hatte den Apparat abgedreht. Sie sagte: »Ich weiß, du kannst das nicht mehr hören. Ich auch nicht. Aber es muß sein! Wenn Sylvia geholfen werden soll …«
»Es kann ihr nicht geholfen werden«, sagte ich. »Sie hat Rettland ermordet, das weißt du so gut wie ich.«
»Ich bin nicht sicher …«
»Wer sonst soll es getan haben? Sie hatte die Pistole noch in der Hand, als die Polizei kam! Sie hatte jeden Grund, dieses Schwein Rettland zu töten! Sie hat es mir nicht gesagt – sie hat es niemandem gesagt –, aber vermutlich ist er draufgekommen, was mit Babs wirklich los ist, und hat versucht, sie nun endgültig zu erpressen.«
»Wie?«
»Mit einer
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