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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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das Casino! Ich wußte, es war vom gleichen Architekten erbaut, der die Pariser Oper geschaffen hatte, irgendwann in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts. Überladen im Stil war das Casino, mit Türmchen an den Ecken und großen Bronze-Engeln, die auf dem Dach saßen. Seitlich stand das HÔTEL DE PARIS, in ähnlichem Stil erbaut wie das Casino. Ich sah hier, auf Tribünen, wiederum Fotografen und Kameraleute mit ihren Apparaturen, ich sah sehr viele Neugierige, von Polizisten zurückgedrängt. Die Wagen hielten. Angestellte des Hotels in weißen Uniformen mit Goldtressen eilten herbei, öffneten die Schläge, halfen beim Aussteigen. Die Fotografen schrien ihre Wünsche. Geduldig erfüllten Sylvia, Babs und ich sie. Babs lachte und winkte nach allen Seiten, die Neugierigen begrüßten Mutter und Kind mit Klatschen und Bravo-Rufen. Unsere Begleiter führten uns zum Eingang des Hotels. Die Treppen herab kam der Direktor, ein eleganter, gut aussehender Mann, den ich auch kannte – Monsieur Jean Boéri. Er begrüßte Sylvia mit Handkuß und tiefer Verneigung. Babs machte vor ihm einen Knicks. Dann führte Monsieur Boéri uns in die große Hotelhalle hinein. Ja, so war das gewesen bei unserer Ankunft, tags zuvor, am frühen Nachmittag …

22
    D er Tonmeister nahm wieder seine Flasche SCHOUM an den Mund. Ziemlich schlimm mit der Leber muß er es haben, dachte ich, wenn er das Zeug auch bei der Arbeit trinkt.
    Die Sendung, die unsere Welt sah, lief nun. Sylvia sprach ohne Pathos, sehr ruhig, ungeheuer eindringlich …
    »… ich habe Glück gehabt in meinem Leben, unverdient und so viel, daß ich oft Angst empfinde …«
    Der Regisseur sagte etwas in sein Mikrofon.
    Kamera I fuhr langsam zurück und brachte auf dem Monitorschirm nun auch Babs ins Bild, die neben Sylvia saß und die Mutter von Zeit zu Zeit lächelnd anblickte. Sylvia legte einen Arm um sie …
    »… ich rede nicht von meinem Beruf. Ich rede von meiner kleinen Tochter. Babs ist klug, freundlich, wohlgewachsen, macht mir Freude, und, meine lieben Freunde, Babs ist gesund  …«
    »Zwo!« sagte der Regisseur.
    Seine Assistentin schaltete Kamera II auf Sendung. Kamera II hatte Babs zunächst ganz groß im Bild – das zur Mutter aufblickende, fröhliche Gesicht des kleinen Mädchens – und zog sich langsam zurück. Babs, immer noch an Sylvia gepreßt, wußte mit der Routine des GRÖSSTEN KLEINEN SONNENSCHEIN-MÄDCHENS DER WELT natürlich, daß nun sie im Bild war, aus den Augenwinkeln sah sie das rote Zucken des Lämpchens auf Kamera II. Babs wurde ernst …
    »Wir leben«, sagte Sylvia, »das bekommen wir alle Tag für Tag zu fühlen, in einer Zeit des großen Umschwungs. Gewiß wird diese unsere Welt im Jahre 2000 – wenn sie dann noch existiert – vollkommen anders aussehen als heute. Sie wird anders aussehen müssen – sonst wird sie eben nicht mehr existieren. Seit Beginn dieses Jahrhunderts sehen immer mehr Menschen, daß die Gesetze unseres Zusammenlebens verändert werden müssen – Gesetze, die zu finden für den Menschen eine unlösbare Aufgabe ist. Und trotzdem: Versuche gibt es viele! Aber können wir ehrlich sagen, daß ein einziger auch nur die Hoffnung auf ein Gelingen erkennen läßt? Was ich sage, meine Freunde, sage ich nicht für die eine oder gegen die andere Gesellschaftsform. Dies sollen und werden, so hoffe ich, Sätze an Sie alle sein, frei von Politik, menschliche Sätze, nur gerichtet an den Menschen. Der Mensch, im Bewußtsein seiner Unfähigkeit, versucht immer weiter verzweifelt, Ordnungen zu schaffen – mit Gewalt, mit dem Einsatz seines Lebens, mit dem Einsatz des Lebens anderer. Er erhebt seine Stimme und sein Gewehr oder demonstriert für das, was er zu wollen glaubt, laut, sehr laut …«
    »Phantastische Schauspielerin«, sagte der Regisseur an seinem Pult und knöpfte das Hemd über der Hose ganz auf, denn es wurde immer heißer in der kleinen Kabine.
    Frédéric, sonst immer so heiter, immer so fröhlich, war ernst geworden. Die Fotos seines kleinen Sohnes hielt er in der Hand. »Das ist nicht Schauspielerei«, sagte Frédéric, »das ist echt, Michel. Das ist wirklich und wahrhaftig echt, jedes Wort, das diese Frau spricht, diese wunderbare Frau …« Er ließ die Augen nicht mehr von der Glaswand, nicht mehr von dieser wunderbaren Frau. Ich sah Bracken an, das alte Schwein. Das alte Schwein nickte, schloß das linke Auge und legte den Mittelfinger der linken Hand über den linken

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