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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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war.
    »Halt den Mund, Sylvia!« sagte ich.
    Sie ging auf mich los mit erhobenen Armen, schlug mir beide Fäuste ins Gesicht, hämmerte auf meine Brust ein. Na, laß sie doch, wenn schon. Wenn sie bloß nicht schrie.
    Sie schrie aber.
    »Du verfluchter Hund! Wie redest du denn mit mir, du Dreck vom Dreck? Du bist genauso schuld wie Rod, der mir vorgeschrieben hat, was ich sagen soll – diese elende Scheiße!«
    »Sylvia … ich bitte dich …«
    »Scheiße, jawohl!« Wie ein Fischweib kreischte sie jetzt, sie, Sylvia Moran, von der Welt geliebt und verehrt als die Göttliche, die Reine, die Wunderbare. In der Hitze der Garderobe wurde ihr Make-up weich. Von den getuschten Wimpern rannen dünne schwarze Linien über das Gesicht mit dem sich lösenden Pancake. Mehr und mehr sah Sylvia aus wie ein Clown, nein, nicht wie ein Clown: wie das Sinnbild des Bösen. »Jawohl, Scheiße! Mir ist todübel! Kotzen möchte ich! Stundenlang kotzen!«
    Ich zog den Schlüssel aus der Tür und war mit zwei Schritten bei dem Schminktisch mit seinem Spiegel. In der Ecke lief ein Monitor. Auf dem Schminktisch stand eine Flasche Cognac. Ich riß den Korken heraus, goß ein Wasserglas voll und trat zu Sylvia. Sie wich vor mir zurück in plötzlicher Panik, sie schien zu glauben, daß ich sie umbringen wollte – das hatte ich auch noch nicht erlebt. Weiter wich sie zurück, weiter, ich denke, ich muß sie mit einem furchtbaren Blick angesehen haben. Sie erreichte eine Couch, blieb mit einem Schuhabsatz unter der Couch hängen, fiel auf sie, rücklings. Im nächsten Moment kniete ich neben ihr, hielt das Glas hin und knurrte: »Trink!«
    »Nein!«
    »Du sollst trinken!«
    »Ich … will … nicht …«
    Damit Sie nicht glauben, ich kann so etwas nicht, bloß weil ich meine Erziehung nicht in der Bronx genossen habe, sondern in Salem: Ich riß Sylvias Kopf an den Haaren zurück, sie öffnete den Mund, um zu schreien, und ich kippte einfach den Cognac in ihren Mund. Sie verschluckte sich, hustete, rang nach Luft, war am Ersticken. Ich ließ sie los, hob die Flasche und schüttete Cognac nach. Und wenn sie jetzt ohnmächtig wurde – herrlich!
    Aber die wurde nicht ohnmächtig, mein Herr Richter.
    Die begann, halb auf der Couch liegend, im großen Abendkleid und schmuckbeklunkert, neuerlich: »Du wagst es, mich zu schlagen, du Hund?«
    Na also. Jetzt ging’s in Privatleben. Alles gerettet.
    »Hab dich nicht geschlagen!«
    »Hast mich nicht geschlagen, du Mistschwein, das ich aus dem Dreck gezogen habe, den ich …«
    »Kusch«, sagte ich. Sie haben keine Ahnung, wie so etwas wirkt, mein Herr Richter.
    Sie starrte mich an. Dann sagte sie, und ihr Gesicht sah nun aus, als habe es die Palette eines Malers gestreift: »Mehr.«
    »Mehr was?«
    »Mehr Cognac! Gib mir zu saufen! Los! Los! Los! Sonst kotze ich hier wirklich alles voll!« Ich gab ihr die Flasche, sie trank einen mächtigen Schluck. Sagte: »Kotze in hohem Bogen!« Trank wieder einen mächtigen Schluck. Sagte: »Ein Wunder, daß ich nicht schon vor den Kameras gekotzt habe!«
    Tja, sehen Sie, mein Herr Richter, das war nun also eine kleine, freundliche Familienszene. The Private Life of Sylvia Moran and Philip Kaven. Ich sah auf dem Monitor plötzlich, ganz groß, ein Bild der Fürstin. Dann ein Bild des Fürsten. Das Gesicht Alberts. Gesichter von Männern, welche die ganze Welt kennt – ein bißchen gespenstisch das alles, denn so ein Monitor bringt nur das Bild, keinen Ton –, Gesichter und Schmuck und Roben schöner Frauen. TMC übertrug aus dem SPORTING CLUB …
    Da draußen im SPORTING CLUB hatte keiner eine Ahnung von dem, was hier vor sich ging. Auch nicht, dachte ich plötzlich, Kommissar Alexandre Drouant da auf dem Dach des SPORTING. Auch nicht ein einziger von den Millionen, die in diesem Moment von ihren Apparaten saßen. Viele weinten sicherlich noch über Sylvias Rede. Andere betrachteten sicherlich staunend, bewundernd diese Ansammlung von Reichtum, Schönheit, Macht, Genie. Sicherlich gab es da jetzt einen kommentierenden Sprecher. Das Orchester sah ich. Herr im Himmel, laß alles gutgehen, sonst ist es aus mit mir, Amen.
    »Gib her!« Sylvia griff nach der Flasche.
    Fein, fein, fein, dachte ich. Bald ist sie blau. Dann kriegst du sie hier raus und ins Hotel. Irgendeine Ausrede dafür, daß sie nicht in den SPORTING CLUB kommt, wie es verabredet war, wird mir schon einfallen. Laß sie sich total besaufen, Lieber Gott, bitte, bitte, bitte, ich will auch

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