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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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glauben, daß es Dich gibt, und allen Menschen sagen, daß sie an Dich glauben müssen, aber hilf mir jetzt!
    Wissen Sie, das hat noch niemals funktioniert mit mir und dem Lieben Gott, mein Herr Richter. Von wegen besoffen! Sie wurde nicht besoffen, meine Sylvia, mein Hexlein. Sie begann laut von neuem: »Dieser beschissene Rod! Was der mir angetan hat! Aber den knöpfe ich mir vor! Der fliegt!«
    »Leise!«
    »Scheiß, leise! Die Flasche!«
    Aber gerne.
    Nur: Sie wurde nicht blau. Sie wurde nicht blau!
    »Wenn ich eine Flasche vor den Kameras gehabt hätte …«
    »Bist du verrückt? Was hast du bloß? Eben noch hast du vor den Kameras geweint! Du warst ergreifend! Deine Tränen …«
    »Meine Tränen! Ekeltränen waren das! Tränen aus Wut!«
    »Wut worüber?«
    »Daß ich das sprechen mußte, was Rod da für mich aufgeschrieben hat, daß ihr zwei mich in diese Situation gebracht habt! Menschlichkeit! Güte! Verstehen! Erbarmen! Helfen! Die Flasche!«
    Ich gab sie ihr.
    Da war Staatspräsident Podgorny auf dem Bildschirm. Da war Nelson Rockefeller. Da waren die Begum, Sammy Davies, Jean-Paul Sartre, der Vertreter des Vatikans, die Mutter John F. Kennedys, Pompidou, Prinzessin Anne von England, Königin Juliane der Niederlande, die drei Astronauten von Apollo 10, eine dunkle Schönheit, ein Chinese in weißer Uniform. Da war Sylvia: »Hilf mir …«
    Ich half ihr auf die Beine. Sie stand, die Flasche in der Hand, vor mir.
    »Die armen, kranken Kinder! Diese Stotterheinis! Diese Sabbermäulchen! Diese Kretins, die keine Menschen, die nicht einmal Tiere sind! Und dafür habe ich meinen Namen hergegeben!« Sie kam wieder in Fahrt. Okay, wenn diese Kammer nicht schalldicht war, war eben alles aus. »Strom des Lebens! Das heißt: erfolgreich sein und reich sein und schön sein und stärker sein! Das Leben genießen! Dem Schwächeren einen Tritt in den Hintern! Das ist der Strom des Lebens! Und wenn du schwach wirst und wenn du alt wirst, dann krepierst du eben – ohne mit der Wimper zu zucken! Aber bis zuletzt oben gewesen sein! Und den Mut haben, zu sagen: Aus! Vorbei! Nicht an der erbärmlichen-Scheißexistenz kleben bleiben! Das ist menschlich! Das ist normal! Und ich werde oben bleiben! Und da ziehe ich mit dem Geschwätz vorhin den Idioten das Geld aus der Tasche! Wofür? Für nichts! Für reinen Betrug! Für reinen Schwindel!« Jäh kippte ihre Stimmung ins Gegenteil. Angstvoll: »Was glaubst du wohl, was das für Folgen haben wird, Phil?«
    Phil, nicht Wölfchen.
    Nein, nicht Wölfchen jetzt.
    »Nur gute, Sylvia! Selbstverständlich nur hervorragende … für dich vor allem …«
    Übergangslos begann sie, sich auszuziehen. In BH und Höschen stand sie vor mir, setzte sich vor den Spiegel, nahm die Ohrringe und das Collier ab, versuchte ihr Gesicht zu restaurieren.
    » Hervorragende , sagst du? Scheiße! Katastrophale , sage ich! Wo kommt denn mein großes Geld her? Aus Amerika! Wo schreit man denn am lautesten nach Euthanasie? In Amerika! Ach was, überall doch, auf der ganzen Welt! Ist doch klar, warum! Ist doch normal! Hunderttausende werden für jedes einzige von diesen Idiotenkindern hinausgeschmissen! Joe wird sich freuen, wenn er mich sieht und hört!«
    Das war Joe Gintzburger, Präsident der SEVEN STARS, eine der drei größten Produktionsgesellschaften der Welt, für die Sylvia arbeitete. »Über mich! Über Rod! Über dich! Was ist das für eine Scheißabschminkcreme?«
    »Wieso über mich?«
    »Weil du mich überredet hast, hierherzukommen!« Gesichtsmilch. Schwämmchen. Die verschmierten Farben schwanden. Sylvias wahres Gesicht wurde sichtbar. Ist das ihr wahres Gesicht, dachte ich, und jetzt mußte ich die Flasche nehmen. Kann aus einem so schönen Mund soviel Unflat kommen, kann hinter einer solchen Engelsstirn ein solcher Dämon wüten? Sie nicken, mein Herr Richter, Sie Kenner der Menschen, Sie wissen Bescheid. »Was glaubst du, wieviel Millionen abgeschaltet haben während meiner beschissenen Rede? Ihr seid verrückt, Rod und du, nicht ich! Lebensgefährlich verrückt seid ihr! Ihr habt meinen Namen ruiniert!«
    »Sylvia, bitte …«
    »Halt’s Maul, gib her!« Sie nahm mir die Flasche weg, trank wie ein Clochard, knallte die Flasche auf die Glasplatte des Schminktisches. Die Platte brach mit einem Knacken entzwei. »Betrug! Betrug, jawohl!« Weiter mit dem Gesicht beschäftigt, unaufhörlich redend dabei, immer noch laut, zu laut, viel zu laut. »Die Laller! Die Zitterer Die Spastiker!

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