Niemand ist eine Insel (German Edition)
gab. Ich sperrte das alte Tor auf. Der Hund wollte mit. Das ging nicht. Ich tat es nicht gerne, aber was blieb mir übrig: Ich gab ihm einen Tritt. Er lief davon, verhungert, traurig, ins Dunkel hinein. Uralt das Treppenhaus. Knarrende Holzstiegen. Zweiter Stock. Eine Tür mit Namensschild: SUZY SYLVESTRE
Ich hatte geklingelt, kurz, kurz, lang, kurz. Unser Zeichen.
Die Tür war sofort aufgeflogen. Und da war Suzy gewesen, strahlend, jung und schön, mit einem Halter und Strümpfen und hochhackigen Schuhen. Mit sonst nichts. Freut einen ja denn doch auch, so ein Empfang, nicht wahr? Mit sonst nichts, schrieb ich. Stimmt nicht. VIVRE, von Molyneux, hatte sie auch noch an sich, das Parfum duftete. Ich hatte es ihr geschenkt. Ich schenkte allen meinen süßen Kleinen immer das Parfum, das Sylvia gerade benutzte. War doch selbstverständlich, daß meine süßen Kleinen dasselbe Parfum haben mußten, nicht wahr?
26
I ch habe dich so lieb, mon p’tit chou, ich habe dich so unendlich lieb«, sagte Suzy Sylvestre nun, zwei Stunden später, da wir es fürs erste hinter uns hatten. »Du wirst es nie ahnen, du wirst es nie wissen.« Sie hatte einen Plattenspieler angestellt. LP John Williams – der Mann hat wirklich Stimme! Er sang gerade Suzys Lieblingslied: »Ô Dieu, merci, pour ce paradis, qui s’ouvre aujourd’hui à l’un de tes fils …«
O, danke, Gott, für dieses Paradies, das sich heute für eines Deiner Kinder öffnet …
»Ich liebe dich genauso, mein Hex …« Verflucht! Das war knapp.
»… mon p’tit chou.«
»Ich könnte alles tun für dich. Alles, Philip. Du glaubst es nicht. Du glaubst, ich bin eben auch so eine. Stimmt ja. Aber gerade so eine tut alles für einen Mann!«
»… pour le plus petit, le plus pauvre fils, c’est pourquoi je cris: Merci, Dieu, merci, pour ce paradis …«
»Könnte immer weinen, wenn ich das höre«, sagte Suzy, Zigarette im Mund, Whiskyglas in der Hand, splitternackt neben mir, der ich auch splitternackt war. Sie weinte wahrhaftig, mein Herr Richter. Weil sie das hörte: … für das kleinste, das ärmste Deiner Kinder, deshalb rufe ich Dir zu: Danke, Gott, danke für dieses Paradies.
Schöner Text. Ging so schön weiter.
Suzy sagte: »Du weißt alles von mir. Von dem kleinen Grafen. Von allen meinen Männern. Alles habe ich dir erzählt.«
»Ich wollte es gar nicht wissen, Suzy!«
»Aber ich wollte es dir erzählen, mon petit chou.«
Ich finde das nett, dieses Kosewort, das die Franzosen da haben, ›mon petit chou‹ – ›mein kleiner Kohlkopf‹, Sie nicht, mein Herr Richter?
»Das war auch sehr lieb von dir, daß du alles erzählt hast, Suzy.«
»Ja, ich bin sehr lieb. Aber du … du hast mir gar nichts erzählt über dich. Ich weiß gar nichts von dir.«
»Du weißt alles Wichtige«, sagte ich, sie streichelnd. »Gib mir das Glas. Danke. Du weißt, daß ich nichts wert bin und kein Geld habe, und du weißt, daß ich der Gigolo von Sylvia Moran bin.«
»Sag nicht Gigolo!« schrie sie.
»Na, ich bin doch einer!«
»Aber du sollst es nicht sagen !« Jetzt rollten wieder Tränen über ihre Wangen. Von wegen Kosmetikerin! Natürlich war sie eine kleine Nutte. Aber wissen Sie, ich habe damals tatsächlich gemeint, daß Nutten die nettesten seien, die treuesten, die bravsten, die ehrlichsten und die menschlichsten. Nicht alle natürlich! Ich bin kein Fetischist. Mir waren auch andere recht und billig. Aber bei Nutten, nein, also bei Nutten, bei einer wie der kleinen Suzy, da wurde ich richtig sentimental, immer …
»Gut, ich sag’s nicht mehr«, sagte ich.
»Erzähl mir, wie du die Alte kennengelernt hast!«
»Ach …«
»Doch, doch, erzähl’ es mir!« Sie rutschte herum und klemmte sich das Kissen, das unter ihrem Po gelegen hatte, zwischen Bettwand und Rücken. Sie saß aufrecht.
»Ist kaum was zu erzählen. Ich habe sie in Baden-Baden getroffen. In Iffezheim.«
»Was ist das?«
»Rennplatz. Berühmter Rennplatz. So wie hier Auteuil. Oder Longchamps.«
»Du kennst viele Rennplätze, ja?«
Ich sagte: »Siehst du, Suzy … Ach, hast du ein süßes Fellchen!«
»Laß das Fellchen in Ruhe. Du kriegst es ja gleich. Es gehört ja dir, das weißt du. Aber jetzt laß es.« Sie hob einen Schenkel. »Erzähl!«
»Na ja, siehst du, ich habe einen Bruder. Karl-Ludwig. Mein Vater, der hatte Kabelfabriken in Duisburg.«
»Reich?«
»Sehr reich. Dann starb mein Vater – mit meiner Mutter. Flugzeugabsturz. 1960. Da war ich neunzehn. Mein
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