Niemand ist eine Insel (German Edition)
Mitarbeiter ihn leichter verstehen:
Mama
Papa
i = sein Bruder Freddy
o = er selbst
äääh = schlecht, scheußlich, unangenehm
mm = Auto, Taxi
m = Geschäft des Vaters (Versicherung)
mmch = Straßenbahn
mmtut = Omnibus
mmtututut = Zug, Eisenbahn
So stand das auf einem Bogen billigem Papier, mit der Hand und deutsch geschrieben. Es ging noch weiter. Ich las die ersten Zeilen, nachdem ich Dr. Reinhardt und Dr. Sigrand alles erzählt hatte, was sie wissen mußten. Daß Sylvia Moran vor zwei Jahren in Monte-Carlo jene weltweit übertragene Fernsehansprache gehalten und um Hilfe für geistig behinderte Kinder gebeten hatte; was dann in der kleinen Garderobe an Unflat, Haß und Abscheu, jene Kinder betreffend, über ihre schönen Lippen gekommen war; daß sie seit zwei Jahren von einem Unbekannten, der jenen Ausbruch auf Band genommen hatte, erpreßt wurde und zahlte, zahlte, zahlte; daß sie, unter äußerster Geheimhaltung, in der nahen Klinik des Professors Max Delamare in der Rue Cavé lag nach einem totalen Gesichtslifting – und so weiter, einfach alles, denn alles wissen mußten diese beiden Ärzte nun, die für Babs verantwortlich waren, wenn ich ein. Unglück verhindern wollte, und das mußte ich, allein schon meinetwegen.
Frau Dr. Reinhardt und Dr. Sigrand hatten schweigend gelauscht. Als ich geendet hatte, sahen beide mich an. Ich hielt das nicht aus und blickte auf den Bogen Papier, der auf dem Schreibtisch der Ärztin lag – so, daß ich ihn lesen konnte. Der Schreibtisch war vollgeräumt mit Papieren, Stoppuhren, Medikamentenpackungen, Büchern, einer Schreibmaschine, zwei Telefonen. Der Raum war groß und hell, das grelle Licht der Wintersonne fiel herein, immer wieder der Dämmerung weichend, denn über den Himmel von Paris jagten – der Sturm der Nacht hatte an Stärke noch zugenommen – schwarze Wolkenfetzen.
In diesem Zimmer war eine Wand mit Bücherregalen bedeckt. Ich sah sehr viel Fachliteratur und sehr viele Akten – vermutlich Krankengeschichten. Ich hatte gleich beim Eintreten verblüfft festgestellt, daß dieser Raum zugleich aussah wie ein Spielzimmer in einem Kindergarten. Da lagen Bälle herum, primitive Puppen, Reifen, Würfel- und Brettspiele, ganz simple andere Spiele, größtenteils solche, in die man Stifte oder Figuren in eingebohrte Löcher stecken sollte; große Holzteile mit großen Holzschrauben; Brettchen mit quadratischen Öffnungen und dazugehörenden Würfeln, die wie die Öffnungen verschieden groß waren; einfache Puzzle-Spiele; sehr viel beschmiertes Packpapier auf dem Fußboden; sehr viele Malkästen mit Pinseln; Bauklötze jeder Form und Art – und das alles sehr bunt!
An den Wänden hingen ein paar Bilder, die nur rote Flecken zeigten oder undefinierbare Formen und Symbole, in Wasserfarben geschmiert. Viele derartige Schmierereien sah ich direkt auf den weißen Wänden. Ich sah beim Fenster zwei Rollstühle, aber so klein, als wären sie für Liliputaner gebaut. Über die Lehne eines Rollstuhls hing ein sehr schmutziger Fetzen. Ich sah einen Plattenspieler und zahlreiche Platten in einem Regal, ein Tamburin mit Schellen, eine Schultafel.
In der Mitte dieser Tafel klebte eine runde Scheibe, die das Zifferblatt einer Uhr darstellen sollte. Diese Uhr hatte nur einen einzigen Pappendeckelzeiger. Im inneren Kreis standen die Zahlen für die zwölf Stunden. Im äußeren Kreis waren naive Bilder angeklebt, die – von Erwachsenen gezeichnet – essende, schlafende, wachende, spielende Kinder zeigten. Unter den Bildern las ich Worte wie MITTAG, NACHMITTAG, ABEND, NACHT, SCHLAFEN, MORGEN und so weiter. Ferner klebten Zettel an dieser seltsamen Schultafel. Ich las, was auf den Zetteln stand: HAUT, GUMMI, PELZ, WÄRME, WINTER, SCHLAF, SCHULE, CREME, HEMD, ANZUG, CLO – alles natürlich französisch.
Unter diesen sehr deutlich geschriebenen Wörtern – die Tafel hing knapp über dem Boden – war von einem oder mehreren Kindern der Versuch unternommen worden, die Worte mit Kreide nachzuschreiben. Die Versuche sahen schlimm aus – ein einziges Gekritzel, zittrig, abbrechend, absolut unleserlich.
Dieses Kreidegekritzel hatte mir beim Hereinkommen in Frau Dr. Reinhardts Zimmer den größten Schock vermittelt – größer noch als der Anblick der beiden Rollstühle. Es gab ganz einfache Bilderbücher in Dr. Reinhardts Zimmer. Sie lagen auf dem Boden, zum Teil aufgeschlagen, die meisten wild vollgeschmiert. Und endlich sah ich sechs sehr kleine, sehr
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