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Niemand ist eine Insel (German Edition)

Niemand ist eine Insel (German Edition)

Titel: Niemand ist eine Insel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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stabile Sturzhelme – aus Bandagen geflochten, nicht geschlossen wie die der Motorradfahrer. Ich ahnte, wer solche Helme trug, um sich bei einem Anfall, einem Sturz nicht den Kopf zu zerschlagen. Viel Spielzeug war auf barbarische Weise zertrampelt und zerbrochen worden. Ein kleines Lamm hielt Frau Dr. Reinhardt in der Hand.
    Sie saß hinter dem überladenen Schreibtisch, Dr. Sigrand neben ihr, ich saß den beiden gegenüber. Auf dem Schreibtisch der Ärztin stand noch, in einem Rahmen, ein Bild, wie es schien, ich sah nur die Rückseite. Die Stille, die eingetreten war, nachdem ich meine Erzählung beendet hatte, dauerte an. Ich wurde immer nervöser und wütender. Warum sprach keiner von den beiden? Womit hatte ich das verdient?
    Dr. Sigrand, das Gesicht verzogen, als blickte er, indem er mich ansah, etwas absolut Widerwärtiges an, sagte endlich: »Wir danken für Ihre Erzählung, Monsieur Norton. Ich verstehe nun Ihre Haltung.«
    »Sie verstehen sie?« Wahrlich ohne jeden Grund war ich beglückt, es schien mir, als hätte ich einen Freund gefunden – ausgerechnet Dr. Sigrand! Es schien mir nur Sekunden lang so.
    »Verstehen«, sagte Dr. Sigrand nämlich. »Ich habe mich nicht richtig ausgedrückt. Sagen wir statt ›verstehen‹ besser ›respektieren‹. Ich respektiere Ihre Haltung, Monsieur Norton.«
    »Ja?«
    »Ich respektiere sie in dem gleichen Maße, in dem sie mich anwidert«, sagte er prompt.
    Ich stand auf.
    »Nun hören Sie mal zu«, begann ich, außer mir, aber auch er stand auf und tippte mich gegen die Brust, und ich fiel in meinen Sessel zurück.
    »Nun hören Sie mal zu«, sagte Dr. Sigrand, während Frau Dr. Reinhardt gar nichts sagte und mich nur unentwegt schweigend betrachtete. »Jeder von uns tut das, was er tun zu müssen glaubt, wozu er verpflichtet ist. Oder verpflichtet zu sein glaubt. Wir hier glauben, dazu verpflichtet zu sein, Kranken zu helfen, so sehr und so gut wir das vermögen. Sie, Monsieur Norton, glauben verpflichtet zu sein, die Karriere von Mrs. Moran zu erhalten, ihre Beliebtheit und ihr Geschäft, weil das innigst mit Ihrem eigenen Wohlergehen zusammenhängt.«
    »Wenn Sie noch ein Wort …«
    »Ach, seien Sie bloß ruhig, ja? Ich habe noch nicht gesagt, daß ich Ihnen bei Ihren miserablen Bemühungen behilflich sein werde. Ich muß es durchaus nicht tun. Niemand kann mich dazu zwingen – am allerwenigsten Sie! – Sie sollen ruhig sein! « Er war jetzt sehr erregt. So hatte ich ihn noch nicht erlebt. Er trat dicht vor mich hin (immer noch hatte diese Ärztin kein Wort, kein einziges Wort gesagt, immer noch beobachtete sie mich unablässig) und fuhr fort: »Menschen wie Mrs. Moran und …« Er machte eine beleidigende Pause. »… Menschen wie Sie richten mehr Elend an in dieser Welt als alle schrecklichen Krankheiten, mit denen wir es hier zu tun haben, zusammen.«
    »Das lasse ich mir nicht bieten!« schrie ich und sprang auf.
    »Dann gehen Sie doch«, sagte er, sein Gesicht dicht vor meinem. »Los, gehen Sie! Für Babs wird alles Menschenmögliche geschehen! Aber Sie verschwinden hier, augenblicklich!«
    Ich starrte ihn an. Diesem Burschen war ich ausgeliefert, das wurde mir jetzt endgültig klar. Also sofort winselnd: »Verzeihen Sie, Herr Doktor. Die Aufregung. Ich habe das nicht so gemeint. Sie haben ja recht …«
    »Herr Kollege …« Das waren die ersten Worte, die Frau Dr. Reinhardt sprach.
    »Schon gut, Frau Doktor!« Er sah zu mir herab. »Die Sache wird geheimgehalten, ganz wie Sie es wünschen.«
    »Danke«, sagte ich. Sollte der Dreckskerl sich doch an mir abreagieren. Wenn er die Sache nur geheimhielt. Mit seinen Ansichten konnte er mich am Arsch lecken. »Ich danke Ihnen, Herr Doktor Sigrand.«
    »Nicht mir«, sagte er, und sah mich unendlich traurig an. »Nicht mir. Danken Sie Frau Doktor Reinhardt.«
    »Ich verstehe schon wieder nicht … wieso Frau Doktor Reinhardt?«
    »Sie hat etwas auf einen Zettel gekritzelt, während Sie erzählt haben, und ihn mir zugeschoben.« Das hatte ich gesehen. »Ich tue nur, was sie auf den Zettel gekritzelt hat«, sagte Sigrand.
    »Und was war das?« fragte ich, während mein Blick zwischen Dr. Reinhardt und Dr. Sigrand hin und her irrte.
    »Sagen Sie’s ihm«, sagte Sigrand.
    »Ich habe Doktor Sigrand gebeten, die ganze Affäre geheimzuhalten«, sagte die Ärztin. Und nun sah sie mich nicht mehr an. Nun sah sie auf das Blatt Papier, das verkehrt herum lag und auf dem ich gelesen hatte, welche

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