Niemand ist ohne Schuld - Dark village ; 3
die Geschichte mit Katie und seinem Vater und allem, was danach kam, längst gespürt?
Aber er log sie an: âNein. Sie hatten nichts.â
Die Lüge kam ganz leicht und automatisch, er hatte nicht mal den Anflug eines schlechten Gewissens. Er hatte ja schon so viel gelogen.
Gemeinsam liefen sie zurück zur Schule. Als sie durchs Tor gingen, klingelte es.
Nora guckte Nick an und lachte: âGerade noch rechtzeitig.â
âMmm.â
Er versuchte zurückzulächeln. Aber es wurde nur ein gequältes Grinsen. Sein Gesicht war starr und kalt, es war widerspenstig, gehorchte ihm nicht, und er geriet ins Schwitzen, obwohl er fast fror. Er wischte sich mit dem Jackenärmel über die Stirn.
Die Schulglocke schrillte ungewöhnlich laut. Er bekam Kopfschmerzen davon. Er schielte zu den anderen, um zu sehen, ob es sie auch störte, aber es machte nicht den Eindruck. Niemand auÃer ihm schien zu bemerken, dass das Klingeln immer lauter wurde, dass es den ganzen Körper vibrieren lieà und den Kopf in tausend Stücke zu sprengen drohte.
âWas ist denn?â, fragte Nora.
Sie stiegen die Treppe zum Haupteingang hinauf. Nick antwortete nicht, er war nicht mal sicher, ob sie was gesagt hatte. Aber dann hörte er Noras Stimme ganz deutlich: âNick. Ist irgendwas? Hast du Kopfweh?â
âNein, nein. Es ist nichts.â
Aber das stimmte nicht. Es war etwas. Denn plötzlich kam alles wieder hoch, ein Sog erfasste ihn und er hatte keine Chance. Oben auf der Treppe blieb er stehen. Wir müssen noch ein bisschen hierbleiben . Nora hielt ebenfalls an, den Arm immer noch um seine Taille geschlungen. An beiden Seiten strömten Schüler an ihnen vorbei.
Nicholas, Nicholas.
Wir müssen noch ein bisschen hierbleiben.
Kalter Schweià brach ihm aus, und er war sicher, dass Nora wieder etwas zu ihm sagte, aber er konnte die Worte nicht entschlüsseln. Ihre Stimme, die ganzen Geräusche, alles vermischte sich zu einem dicken Brei, wie ein zu schnell abgespieltes Tonband: ein einziges, unverständliches Gebrabbel.
Das warâs , dachte er. Ich habe es nicht anders verdient, jetzt kriege ich, was ich schon lange verdient habe. Jetzt geht es mit mir den Bach runter.
Die FuÃballkarten in seiner Innentasche wogen zentnerschwer.
7
Die Sonne im Nacken. Trockenes, verbranntes Gras. Helle, rieselnde Erde auf beiden Seiten des Sargs. Das Loch darunter ist dunkel und sieht trotz der Sommerwärme kalt aus.
Vier Männer lassen den Sarg runter. Nicholas hat sie noch nie gesehen. Der Pfarrer spricht wieder, nicht lange, aber lange genug, dass es unter dem engen, steifen Hemd zu jucken anfängt. Es ist neu.
Der Pfarrer schlägt die Bibel zu. Dann kommt er herüber und gibt Katie und Nicholas die Hand, obwohl er das schon zwei Mal getan hat. Er flüstert etwas, das Nicholas nicht versteht, und legt Katie seine bleiche Hand auf den Oberarm. Seine Finger sind gelb vom Nikotin.
Katie zuckt zurück, ihre Beine bewegen sich unruhig.
âDankeâ, sagt sie.
Sie sieht den Pfarrer nicht an, als sie sich bedankt, und Nicholas hört genau, dass sie es nicht so meint. Nicholas will sich abwenden und auch gehen, aber Katie hält ihn zurück.
âWarteâ, sagt sie leise. âWir müssen noch ein bisschen hier stehen.â
âWarum?â
âDas macht man so. Die Familie bleibt noch am Grab.â
âWoher weiÃt du das?â
âNicholas. Hör auf.â Sie greift nach seiner Hand und hält sie fest. âWir bleiben stehen.â
So machen sie es. Nicholas zählt im Stillen: eins, zwei, drei, vier. Er kommt bis zweiunddreiÃig, dann lächelt Katie ihn an und sagt: âDas reicht. Jetzt gehen wir.â
Sie drehen sich um und verlassen das Grab Hand in Hand.
Die Frau, die in der nächsten Zeit auf sie aufpassen und Mama für sie wiederfinden soll, steht im Schatten der Kirche. Sie kommt ihnen ein paar Schritte entgegen und empfängt sie auf dem Kiesweg. Sie sagt nichts, schenkt ihnen nur nacheinander einen Das-habt-ihr-gut-gemacht-Blick.
âWir sind so weitâ, sagt Katie. Und ihre Stimme klingt kühl und gefühllos. Die Frau sieht sie mit groÃen Augen an und will schon etwas sagen. Aber sie hält sich zurück und lächelt, anstatt sie zurechtzuweisen: Ihr armen Kinder habt so viel durchgemacht.
âJa, dann gehen wir malâ, murmelt sie.
Der Kies knirscht unter ihren
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