Niemand lebt von seinen Träumen
glücklich«, sagte sie im Schlaf und dehnte den schlanken Körper. »Und ich gehe auch nie wieder weg«, flüsterte sie und lächelte im Traum. »Immer bleibe ich bei dir, Frank, mein Frank. – Wie schön wird unser Leben sein – wie glücklich.«
Stampfend fuhr das Schiff durch den Atlantik. Auf der schwachen Dünung schaukelte es leicht hin und her. Grell leuchtete das Weiß der Bordwand in der Nachmittagssonne. Musik klang aus dem Speisezimmer und tönte hinüber zu dem Sonnendeck und dem kleinen Schwimmbassin für die Passagiere. Die Sonnenschirme über den kleinen, an Deck festgeschraubten Tischchen stachen grell und bunt von dem weißen Untergrund ab. Fröhliche Menschen tummelten sich an der Reling, spielten Bordkegeln oder lagen in Liegestühlen und lasen. Das Wetter meinte es gut mit den Reisenden.
Auch der alte Herr saß wieder im Wandelgang und las in einem dicken Buch. Ab und zu sah Pit nach ihm und füllte kalte Limonade nach.
Vor dem Kiel schäumte es auf. Volle Kraft voraus! Kurs nach Westen!
Die bunten Fähnchen an den Sonnendecks flatterten und knatterten im Fahrtwind.
Es geht nach Amerika! Wir fahren über den Atlantik!
Und Susanne Braun schlief und träumte, daß sie schon in Franks Armen läge …
12
An der Abendtafel saßen sich am Kapitänstisch der alte Herr und Kim Brake gegenüber. Sie rauchten nach dem Essen eine gute Zigarre, tranken eine Flasche Rheinwein und unterhielten sich über die weiten Reisen des grauhaarigen, hageren Passagiers.
»Das ist bereits meine zehnte Fahrt über den Atlantik«, meinte der alte Herr vergnügt. »Vielleicht auch meine letzte – wer weiß es?«
»Aber Herr Professor …« Kim Brake winkte ab. »Sie sind besser auf den Beinen als ich.«
»Mit siebzig Jahren kann man sich nicht mehr viel wünschen. Die ganze Welt habe ich abgereist – von China bis Kap Hoorn, von Alaska bis Johannesburg – kreuz und quer über die gute alte Erde. Da sieht man vieles, was man am liebsten nie gesehen hätte! Und davor graut es mir jetzt. Ich möchte meine Ruhe haben – und die habe ich jetzt, wenn ich wieder zu Hause sitze und meine Kataloge durchblättere.«
Kim Brake nickte. Er nahm einen Schluck Wein und wischte sich dann einige Tropfen aus seinem Bart.
»Sie haben recht, Professor. Aber man lernt nie aus. Erst heute ist mir eine Sache passiert, die ich in meiner langen Praxis auf See noch nicht erlebt habe. Wir haben doch tatsächlich einen blinden Passagier an Bord.«
Der alte Herr lachte schallend. »Das regt Sie auf, Brake? Das ist doch ein altes Lied! Das kommt doch irgendwann einmal auf jedem Schiff vor!«
»Aber unser ›Blinder‹ ist eine Frau!«
»Zugegeben, das ist schon seltener.« Der alte Herr sah interessiert auf. »Wann und wie haben Sie sie denn entdeckt?«
»Eben. Vor drei Stunden! Saß im Ladebunker drei und wollte illegal in die USA kommen. Sie hat dort angeblich einen Bräutigam – Frank soll er heißen. Frank Barron. Die Auswandererquote ist erfüllt – da will sie auf eigene Faust hinüber.«
»Das Mädel hat Mut!« Der Professor nickte amüsiert. »Als ich noch jung war, gab es auch für mich keinen Berg, der zu hoch war. Ich kenne das! Wenn man jung ist, will man den Himmel erstürmen. Im Alter ist man dann froh, wenn man einen warmen Platz hinter dem Ofen erobert hat.« Er nahm einen Schluck Wein. »Wollen Sie das Mädchen auf den Azoren wieder an Land setzen?«
Kim Brake zögerte mit der Antwort, dann meinte er: »Herr Professor – keiner der Passagiere weiß, daß wir einen ›Blinden‹ an Bord haben. Sie sind der erste und einzige. Und Ihnen vertraue ich meine Entscheidung auch an: Nein! Ich werde sie nicht aussetzen, sondern sie wohl doch mit nach New York nehmen und zusehen, daß sie ihren Frank bekommt.«
»Bravo!« Der Professor klatschte in die Hände. »Kapitän – Sie sind ein feiner Kerl! Sie haben ein Herz!« Er lächelte ihn an. »Wissen Sie, die Geschichte hat mir jetzt direkt Spaß gemacht. Ich möchte das kleine, mutige Fräulein einmal sehen. Geht das?«
»Aber ja.« Kim Brake stand auf. Doch der alte Herr hielt ihn am Rock fest.
»Nicht so, Kapitän«, sagte er. »Das könnte sie stutzig und ängstlich machen. Außerdem ist es für das junge Mädchen sicherlich unangenehm, von mir altem Herrn ausgefragt zu werden. Lassen Sie mich mit ihr ganz von selbst bekannt werden – per Zufall gewissermaßen. Es wird sich bei der Überfahrt schon eine Gelegenheit ergeben …«
Und wirklich – noch am
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