Niemand
zu ihr hinunter. So musste es sein. Vielleicht kniete er auch neben ihr, nur eine Handbreit entfernt?
Zwei Typen waren ihnen entgegengekommen – der eine, zwei Meter hoch und dürr wie ein Bleistift, der andere halb so groß, aber fast genauso breit wie hoch. Doch das reichte nicht für Ninas Lachanfall. Der Kleinere hüpfte, tanzte, drehte sich unentwegt, alles an ihm bewegte sich, sogar seine Ohren und die Nasenspitze wackelten. Sein Körper, gehüllt in einer regenbogenfarbigen Latzhose, schien aus Gummi zu bestehen. Das pausbackige Gesicht erinnerte Nina an den Trauerkloß, doch traurig war weder der eine noch der andere. Der Größere kicherte, gluckste, schnalzte und rülpste hintereinander und manchmal klang es wie ein Gemisch aus allen Geräuschen zusammen. Dann legte er die Hände schützend vor die Lippen, als wolle er die Töne, die aus seinem Mund sprudelten, eindämmen. Seine großen runden Augen rollten wie bei einem Teddybär in den Höhlen, was ihn ein bisschen verrückt aussehen ließ.
Als Lilly miaute: »Hibbel und Gibbel, ich ertrage diese Typen nicht, die machen mich nervös. Mauz«, war es um Nina geschehen. Der Anblick des großen gibbeligen Gibbel und des kleinen hibbeligen Hibbel … zu lustig.
»Es tut mir leid«, kicherte Nina. »Es tut mir ja so leid.«
Sie wischte sich die Tränen von den Wangen, blieb aber auf dem Boden hocken. Lilly saß ein Stück abseits und musterte Nina abschätzend. Wie konnte sich jemand so gehen lassen, dachte sie vermutlich.
Niemand schwieg und blieb unsichtbar. Nina hoffte, dass er nicht gegangen war, aber nein, sie war sich seiner Nähe sicher, wusste sich das Gefühl nicht zu erklären, aber sie spürte, dass er nicht weit von ihr entfernt stand. Was für ein romantischer Quatsch. Nina lächelte. Wenn Suse ihren Schmalztick bekam, hörte sie von morgens bis abends Schmusesongs und malte Herzchen auf jedes Stück Papier, das ihr in die Quere kam. Einmal hatte sie sogar auf Ninas Zeugnis herumgekritzelt. Mama hatte nicht mit Suse, sondern mit Nina geschimpft, sie hätte das Zeugnis wegräumen müssen, dabei sollte Nina es liegen lassen und es am Abend Papa zeigen.
Vielleicht sollte sie besser nach Hause gehen, damit sich ihre Eltern nicht sorgten und sie nicht geschimpft bekam. Aber dann müsste sie Niemand verlassen und sie wusste nicht, ob sie jemals wieder zurückkehren konnte. Außerdem hatte sie noch zwei Wünsche bei Fräulein Klimper frei. Mit einem Wunsch würde sie die Zeit zurückdrehen und den Vorwürfen ihrer Mutter entgehen. Entschlossen stand sie auf, ging auf Lilly zu, hob sie hoch, vergrub ihr Gesicht in das weiche Fell und flüsterte: »Lasst uns gehen, sonst kriege ich wieder einen Lachkrampf.«
Hibbel und Gibbel hibbelten und gibbelten an ihr vorbei, ohne ihr Beachtung zu schenken. Lilly hatte recht, all die Wesen kamen nicht aus ihren Löchern, um ein Mädchen zu sehen. Aber das bedeutete auch, dass sich Niemands Thron in Gefahr befand. Und Niemand.
15.
Der Duft von süßen Erdbeeren erfüllte die Luft. Niemand hatte noch nie ein Mädchen geküsst – er hatte ja auch vor Nina noch nie ein Mädchen gesehen. Doch Nina, der vor Lachen Tränen über die Wangen liefen und die so viel Heiterkeit ausstrahlte, dass Niemand nichts als leckerlieblichzuckersüßen Erdbeerduft verströmte, hätte er am liebsten an sich gerissen. Aber Lilly stand neben ihr, und schlimmer noch: Hibbel und Gibbel. Sie wären noch hibbeliger und gibbeliger geworden, wenn Niemand sich zu erkennen gegeben hätte. Denn sie fürchteten sich vor ihm, dem Herrscher des Niemandslandes. Dabei herrschte Niemand nicht.
Vielleicht hatte Lilly doch recht. Ohne die Goldgelockten-Giganten-Greislinge würde es den Kreischzwergen nicht gelingen, den Thron zu stehlen. Wenn sie ihnen Einlass gewährt hatten, diente Ninas Haarsträhne als weiterer Beweis ihrer Loyalität.
Endlich gingen Hibbel und Gibbel weiter. Niemand hatte schon befürchtet, dass sie sich – wie Lilly – an Nina hängen würden, dann hätte er sie fortjagen müssen. Hibbel und Gibbel konnte er keine fünf Minuten lang ertragen.
Nina schien ihren Lachanfall überwunden zu haben, sie erhob sich, nahm Lilly auf den Arm und schmiegte sich zärtlich an die Katze. Für einen Moment spürte Niemand Neid, doch der unreife Tomatenduft verflog, als Nina in seine Richtung sah.
»Lasst uns weitergehen.« Er bog nach links ab und ließ den Graswald, in denen sich noch vereinzelte E-Mann-Zehen aufhalten
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