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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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svite, die für frischgebackene Ehepaare angeblich besser geeignet ist. Die Tante an der Rezeption hat jedenfalls sofort kapiert, wo das Problem liegt.«
    »Wir sind doch noch gar nicht verheiratet«, bemerkte Anna mit gespieltem Verdruß.
    »Ach was, ich habe nur ein bißchen gelogen. Eine kleine Lüge reinigt die Seele. Komm jetzt, wir ziehen um!«
    Diesmal bekamen sie eine Aussicht, die zum Teil aus Meer und Sonnenuntergang, überwiegend jedoch aus einem Einkaufszentrum bestand. Dazu ein großzügig dimensioniertes Doppelbett. Anna machte einen hohen Sprung im Flop-Stil und landete lachend und schaukelnd auf dem Rücken.
    »Teufel auch!« ließ sich Åke Stålhandske beeindruckt vernehmen. »Die Latte muß bei mindestens einssechzig gelegen haben.« Dann nahm er Anlauf, um den Sprung zu wiederholen. Anna streckte erschrocken die Hände aus, um ihn zu bremsen.
    »Himmel! Wenn du es versuchst, kracht das Haus zusammen«, warnte sie.
    Er kroch lachend ins Bett und küßte sich an ihren Skihosen entlang nach oben, bis er beim Gesicht angekommen war.
    »Ich habe sowieso nie mehr als einsachtzig geschafft. Hochsprung war nie meine Stärke«, flüsterte er.
    »Amateur!« lachte sie, als sie nach dem Kuß wieder Luft bekam. »Wer nicht über einszweiundneunzig springt, ist kein richtiger Mann.«
    »Wieso?« fragte er scheinbar verletzt, sog Luft ein und trommelte mit den Fäusten auf die Brust, so daß es im ganzen Raum dumpf widerhallte.
    »Ich habe zufällig meinen persönlichen Rekord erwähnt«, sagte sie schüchtern, polierte sich die Fingernägel an der Brust und betrachtete sie.
    In den nächsten Stunden wechselten sie nur wenige Worte.
    Dafür versicherten sie und bewiesen einander, daß ihre Liebe ein größeres Wunder war als alles andere. Sie schliefen verschwitzt ein und wachten leicht durchgefroren auf. Sie duschten zusammen, vergaßen ihren Hunger und kamen recht spät ins Restaurant hinunter. Sie hatten sich notdürftig für den Abend zurechtgemacht und erschienen in frischgebügelten Jeans, frischen Sporthemden und Pullovern über den Schultern. Das war eine Kleidung, die im Norden Norwegens in der Touristensaison auf keinen Fall übertrieben sportlich erscheinen konnte. Der Speisesaal sah aus wie eine Mischung aus Grillbar und Café. Weiße Plastikmöbel, die Korbstühle imitierten, braune Tischtücher, rosafarbene Servietten und klobige Weingläser aus Preßglas. Sie ließen sich nicht im mindesten verdrießen, und da man sie überdies vor der norwegischen Kochkunst gewarnt hatte, hatten sie keine großen Erwartungen. Zu den Angeboten der Speisekarte gehörte das Polar-Menü des Hotels Rica Arctica, an dem auch die norwegische Zubereitung kaum etwas verderben konnte: marinierter Eismeerlachs, Rentierfilet mit »sopp« und »tyttebaer«, und danach Parfait von Multbeeren, auf Wunsch auch mit heißen Beeren.
    Als sie eine Zeitlang kichernd über die vermeintlich exotische Speisenfolge Vermutungen angestellt hatten, entdeckten sie, daß die Speisekarte auch russischen, englischen und finnischen Text enthielt, und so klärte sich schnell, was Preiselbeeren, Multbeeren und Pfifferlinge waren.
    Sie entschieden sich für das Polar-Menü, und Åke Stålhandske seufzte, daß er wohl Carl anrufen sollte, da die Weinkarte ihm nicht viel sagte.
    »Ich frage mich, ob er das besser könnte als du«, überlegte Anna.
    »Wieso, natürlich könnte er das besser, er ist immerhin ein gottverdammter Weinexperte«, brummelte Åke.
    »Ich tu’s«, sagte er und schnappte sich die Weinkarte. »Bestell in der Zwischenzeit zwei Polar-Menüs.«
    Er ging entschlossen in die Halle, während sie den Kopf schüttelte und mit der Kellnerin wegen der Wahl des Weins zu konferieren begann.
    Nach einiger Zeit kehrte Åke Stålhandske mit genauso entschlossenen Schritten zurück. Er machte einen zufriedenen Eindruck.
    »Wir nehmen den weißen Bordeaux, Château soundso, zum Lachs, und dann etwas, was Beaujolais Patriarche heißt, zum Rentierfilet, wenn auch nur unter dem Vorbehalt, daß der ›Rotwein aus Rioja‹ nicht Reserva oder Gran Reserva ist, denn dann nehmen wir den Beaujolais«, erklärte er triumphierend und knallte die Weinkarte auf den Tisch.
    »Ich weiß«, sagte sie, »denn den habe ich bestellt. Château soundso ist schon unterwegs, und dieser andere war weder Reserva noch Gran Reserva, also habe ich den Beaujolais bestellt.«
    »Hörst du unsere Telefongespräche ab?« fragte er verblüfft.
    »Nein«, sagte sie und

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