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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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könnte sie dort unten erwarten, kam ihm nicht eine Sekunde. Für ihn war es unvorstellbar, daß sie inmitten eines russischen Grenzjäger-Regiments oder einer ähnlich bedrohlichen Umgebung landen könnten. Einmal konnte keinem Außenstehenden der Punkt bekannt sein, den sie für die Landung ausgewählt hatten, zum andern konnte man sie im Radar unmöglich entdecken. Sie würden nicht mehr zu sehen sein als Vögel. So gab es im Augenblick keinerlei Probleme, gar keine. Er fühlte sich so aufgekratzt, daß er das Gefühl hatte, eine Mischung aus Sauerstoff und Lachgas einzuatmen, daß es vielleicht eine aufmunternde Innovation war, die irgendein Militärtechniker ausgetüftelt hatte, um Leute, die schwierige Aufträge vor sich hatten, in allerbeste Verfassung zu bringen. Er verscheuchte den Gedanken sofort. Er spürte, daß es etwas anderes war, daß er eher ein berauschendes Gefühl von Freiheit erlebte, das auf der Einfachheit der Situation beruhte; hier gab es kein Kind und keine Frau und keine Ex-Frau, keine Verantwortung für Finanzen, persönliche Moral oder etwas, was richtig oder falsch war, hier gab es nur einen Auftrag, einen Befehl, den er verstanden hatte und ausführen würde. Nichts anderes, und das war Freiheit.
    Er manövrierte sich an die anderen heran, da die Wolken allmählich näher kamen. Er kontrollierte erneut ihre Position, nachdem er etwas kondensiertes Eis von den Instrumenten geschabt hatte. Sie mußten verhältnismäßig milde und feuchte Winde hinter sich haben, denn er bemerkte keinerlei Beschwerden, die auf Kälte zurückzuführen waren.
    Als sie sich der Wolkendecke näherten, veränderten sie ihre Formation, so daß sie relativ nahe aneinander herankamen und in einem Kreis am Himmel hingen. Sie hatten die gleiche Höhe und wandten einander die Gesichter zu. Als der Gruppenchef ein Zeichen gab, drehten sie sich gleichzeitig in den Wind, bremsten und begannen, vertikal durch die Wolken zu stoßen, in die Dunkelheit, die ihnen entgegenkam. Die Wolkendecke war dünner als berechnet. Nachdem sie den kurzen Fall durch die milchigweiße Wolkendecke hinter sich hatten, sahen sie einander wieder deutlich und konnten sich auch eine ungefähre Vorstellung davon verschaffen, wie es dort unten aussah, denn auf der Erde beherrschte die weiße Schneedecke das Blickfeld. Hier und da waren dunkle Formationen zu sehen, die Wald oder Berge sein konnten, vermutlich Wald.
    Sie wählten durch Handzeichen ein kleines Feld inmitten eines Wäldchens aus und manövrierten sich dann einzeln hinunter. Sie hatten keinerlei Anzeichen von menschlichem Leben entdeckt, im Umkreis mehrerer dutzend Kilometer weder Maschinen noch Licht gesehen und fühlten sich alle recht sicher, ungestört landen zu können.
    Sie setzten tief im Schnee auf. Es dauerte eine Weile, die Fallschirme zusammenzupacken und die Schneeschuhe anzuziehen, damit sie sich um ihre Fracht kümmern konnten. Carl gab sofort zwei Mann den Befehl, am Rand des Wäldchens die Antenne herzurichten. Er hielt es nicht für sonderlich dringend, die nächste Umgebung abzusuchen. Während die Antenne aufgebaut wurde, packten sie ihre Frachtkiste aus, luden die Ausrüstung auf die beiden Schlitten, packten die zusammengefalteten Fallschirme in die Transportkiste, die sie anschließend unter einer Tanne im Schnee vergruben. Als sie damit fertig waren, war es dunkel geworden. Sie setzten sich ihre Nachtbrillen auf und machten pflichtschuldigst ein paar Manöver auf Skiern, fuhren um den Rand des Wäldchens herum, um zu sehen, ob irgendwo in der Nähe Anzeichen von menschlichem Leben zu entdecken waren. Doch es war nichts zu sehen und zu hören. Alles andere wäre auch höchst erstaunlich gewesen. Immerhin war dies der menschenleerste Teil der Nordkalotte.
    Carl konnte schon bald beschließen, das Signal an die Heimatbasis zu senden, daß sie nach Plan gelandet seien und daß alles normal verlaufe.
    Anna Erikadotter und Tessie saßen auf je einem Ende des großen, weich gepolsterten italienischen Sofas im Verandazimmer von Stenhamra. Sie hatten nach einiger Mühe ein Kaminfeuer in Gang gebracht und kicherten darüber, wie anfängerhaft sie sich dabei benommen hatten. Sie saßen in Strümpfen mit hochgezogenen Beinen da und hielten jede eine Teetasse in der Hand. Sie versuchten sich mit lustigen Geschichten über die Männer gegenseitig Mut zu machen. Anna erzählte, wie es gewesen sei, als Åke auf dem Flughafen in Rom in die Maschine gekommen war, und Tessie

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