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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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müßten sich von dem Thema schleunigst wieder entfernen.
    »Ich erwarte ein Kind«, sagte Anna plötzlich. »Ich habe die Bestätigung bekommen, bevor ich heute zu dir rausfuhr. Ich bin im zweiten Monat.«
    Tessie starrte sie erst verblüfft an. Dann begann sie zu lächeln und nickte und warf den Kopf in den Nacken, als gäbe es über diese nicht ganz unerwartete Nachricht etwas sehr Unerwartetes zu sagen. So war es auch.
    »Ich selbst bin im dritten Monat«, sagte sie. Beide lachten gleichzeitig los, zunächst in ganz offenkundiger und reiner gemeinsamer Freude, dann mit einem leichten Anflug von Verzweiflung.
    »Du hast Åke natürlich nichts gesagt, ich meine, daß du geglaubt hast…?« fragte Tessie, als sie das Gefühl hatte, sich zusammennehmen zu müssen.
    »Nein«, erwiderte Anna und biß sich auf die Unterlippe, um sich darauf konzentrieren zu können, daß sie nicht in Tränen ausbrechen durfte. »Das wollte ich ihm erst erzählen, wenn er wieder da ist. Es sollte ein Weihnachtsgeschenk sein. Und du?«
    »Ich habe auch nichts gesagt«, flüsterte Tessie. »Carl weiß nichts. Ich nehme an, ich habe genauso gedacht wie du.«
    Sie waren nur noch wenige Tage vom Ziel entfernt. Das Wetter hatte aufgeklart, aber die Kälte hielt sich in erträglichen Grenzen und lag bei etwa minus zwanzig Grad. Kolja hatte mittlerweile all seine Besorgnis verdrängt, die ohnehin niemandem nützte. Außerdem hatten sie kein einziges Mal Kontakt mit Menschen gehabt und nicht mal eine Spur im Schnee entdeckt.
    Aber hier war nun eine Spur, eine deutlich sichtbare Skispur, die überdies ziemlich ausgefahren wirkte. Es näherte sich die kurze Stunde des Tages, in der es eine Art Dämmerung gab statt Dunkelheit, und eigentlich hatten sie hier nur anhalten wollen, um die Tarnnetze über sich zu ziehen und sich ein paar Stunden auszuruhen. Doch die Skispur veränderte alles. Da gab es kaum etwas zu diskutieren. Es konnte nichts anderes sein als die Spur irgendeiner Patrouille. Sie hatten zwischen zwei Dingen zu wählen. Entweder mußten sie versuchen, eine weit ausholende Umfassungsbewegung zu machen, um die Spur nicht kreuzen zu müssen. Oder sie mußten die Spur überqueren und versuchen, ihre eigene Spur zu zerstören, und zwar mindestens ein paar hundert Meter in beiden Richtungen.
    Mit etwas Glück würde es schneien, und der Schnee würde dann alles zudecken, was von ihnen zu sehen war. Es war in erster Linie eine Frage der Zeit. Sie wußten nicht, wie lange sie der Skispur seitlich folgen mußten, denn der Karte zufolge gab es in der Nähe keinerlei Militärposten. Es konnte sich also um mehrere dutzend Kilometer handeln.
    Wenn es aber andererseits um so große Entfernungen ging, kam vielleicht nur einmal in der Woche eine Patrouille vorbei. Sie hatten kaum eine Wahl. Zu Anfang waren sie nur sehr langsam vorwärtsgekommen, weil sie mit Tannenreisern hinter den Schlitten hergegangen waren, um die dicken, deutlich sichtbaren Spuren der Kufen zu verwischen. Es war nur ein leichter Schneefall nötig, um den Rest zu erledigen. Draußen in der Wildnis hatten sie es nicht lange für nötig gehalten, immer wieder ihre Spuren zu verwischen. Aber jetzt war es wieder soweit. Sie schnitten dicke Tannenäste ab und begannen, die Spur hinter sich einige hundert Meter zu bearbeiten, bis für eine zufällig hier passierende Skipatrouille nichts zu sehen war. Dann zogen sie ihre Schlitten über die Skispur und setzten ihre eigenen Skier dazu ein, die Spur wieder herzurichten, während sie recht große Mühe darauf verwandten, dort, wo die Schlittenkufen sich in den Schnee gegraben hatten, alles wieder auszugleichen. Sie waren gezwungen, bei der hellsten Tageszeit zu arbeiten, da es im Moment nichts Dringenderes gab als dieses Problem. Während sie arbeiteten, bewölkte sich der Himmel, und die ersten Schneeflocken begannen zu fallen. Kolja hatte das Gefühl, als wäre Gott noch immer auf seiner Seite. Einige Stunden Schneefall waren alles, was sie brauchten.
    Doch Koljas vermeintliches Glück war in Wahrheit sein Unglück. Etwa einen Kilometer entfernt kam der Hauptmann Lars Andersson fröhlich auf seinen Skiern herangefahren. Er war nur leicht ausgerüstet, als absolvierte er eine Trainingsrunde. Es sah aus, als wäre er ein Biathlet bei einer Übung. Nur die Nummer auf der Brust fehlte.
    Als er jedoch urplötzlich stehenblieb und hinter einigen Baumstämmen Schutz suchte, zeigte sich, daß er sich in einigen entscheidenden Punkten doch von

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