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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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schmecken wird«, sagte er freundlich zu Luigi.
    »Wenn Sie entschuldigen, Herr Botschafter, ich bin mit italienischer Küche aufgewachsen und sehe sie wirklich als, hm, richtig an«, entgegnete Luigi, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Oh, ich hatte nicht die Absicht, ins Fettnäpfchen zu treten, aber das habe ich wohl getan«, entschuldigte sich der Gastgeber.
    »Oh, macht nichts«, erwiderte Luigi mit einem sehr breiten und anzüglichen Lächeln. »Für mich ist die schwedische Küche ziemlich lustig, exotisch, könnte man sagen.«
    Sie aßen eine Zeitlang schweigend. Dann betupfte sich der Botschafter demonstrativ den Mund und legte die Serviette neben sich aufs Tischtuch. Eine Bedienstete erschien sofort mit zwei blauen Schachteln, die sie neben die Serviette legte.
    »Ja, hm«, begann der Botschafter und stellte schnell fest, daß er die Aufmerksamkeit beider Gäste hatte. Sie saßen nämlich plötzlich gespannt und aufrecht da, fast wie brennende Kerzen. Sie ahnten vermutlich schon, was bevorstand.
    »Der Präsident der Italienischen Republik hat mir einen sehr ungewöhnlichen und angenehmen Auftrag erteilt. Normalerweise steht es keinem Ausländer zu, Auszeichnungen des italienischen Staates zu überreichen, aber die Situation ist ja etwas ungewöhnlich, nicht zuletzt im Hinblick auf die geheimen Funktionen der Herren. Ich kann jetzt allerdings nicht aufstehen und euch umarmen und küssen, na ihr wißt schon, wie die Leute es hier unten tun…«
    Er gluckste leise, verstummte aber, als er Luigis Blick sah.
    »Ja, also, dagegen ist natürlich nichts zu sagen. Aber wir Schweden sind ja etwas weniger förmlich. Aufstehen sollten wir trotzdem.«
    Åke Stålhandske und Luigi Bertoni-Svensson erhoben sich schnell, schoben die Stühle unter den Tisch, traten einen Schritt zurück und nahmen Haltung an.
    Der Botschafter öffnete die beiden großen blauen Etuis, so daß die von den Farben Italiens umgebenen emaillierten weißen Kreuze sichtbar wurden.
    »Darf ich zunächst Hauptmann Stålhandske bitten vorzutreten«, befahl der Botschafter. Der blonde bärtige Riese trat vor und nahm einen Dreiviertelmeter vor dem Botschafter Haltung an.
    »Es ist für mich als Botschafter Schwedens ebenso eine Ehre wie für Schweden als Land, wenn ich jetzt Ihnen, Hauptmann Åke Stålhandske, L’Ordine al Merito della Repubblica des Grads Commendatore überreiche. Das Kreuz wird am Hals getragen, bei Zivilkleidung trägt man, falls gewünscht, die Ordensnadel im Knopfloch. Bitte sehr, Hauptmann Stålhandske.«
    Åke Stålhandske nahm das blaue Etui mit der rechten Hand in Empfang, legte es sofort in die linke und streckte dann mit einer verbissenen Miene, die Ola Ullsten zögern ließ, seine gewaltige Rechte zum Handschlag aus. Doch dann reichte ihm Ola Ullsten die Hand, und gab sich Mühe, das Gesicht nicht vor Schmerz zu verzerren.
    Åke Stålhandske trat mit versteinertem Gesicht zurück und stellte sich kerzengerade hinter seinen Stuhl, ohne Miene zu machen, sich zu setzen.
    Anschließend wurde die Prozedur mit Luigi wiederholt, allerdings mit dem Unterschied, daß es Luigi schwerfiel, seine Rührung zu verbergen.
    Dann wurde Champagner hereinbefohlen, französischer Champagner. Und es gelang Ola Ullsten, seine Zunge im Zaum zu halten und nichts Unpassendes über italienischen Sprudelwein zu äußern. Sie prosteten einander zu und zeigten keinerlei Gefühlsregung.
    Zur gleichen Zeit saß der Präsident der Republik Finnland in seinem Dienstzimmer in tiefe Grübelei versunken. Er hatte darum gebeten, man möge ihn allein lassen, bis der erste Mitbürger erschien, den er zu sich gerufen hatte. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Seine Gedanken flackerten hin und her. Er mußte überlegen, was jetzt zu geschehen hatte und in welcher Reihenfolge, und zwischendurch meldeten sich immer wieder seine Erinnerungen an den Krieg.
    Bei Ausbruch des Krieges war er kaum mehr als ein Junge gewesen. Bis zu hundert tote Russen hatte er gezählt, etwa so, wie ein Jäger Buch darüber führt, wie viele Vielfraße oder Wölfe er erlegt hat. Doch irgendwann hatte er den Faden verloren, und es fiel ihm schwer, sich den Grund zu erklären. Vielleicht hatte er nicht geglaubt, den Krieg zu überleben. In dem Fall hätte es keine Rolle gespielt. Vielleicht ist es zu grotesk, tote Menschen zu zählen, als wären sie Wildbret; das war die menschlich ansprechendste Erklärung, zu der er natürlich am liebsten Zuflucht nahm. Doch sie entsprach

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