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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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verschiedenen Gebäuden, die mich
interessierten, und er antwortete mir mit Eifer.
    »Das war die Schule, und hinter dem
freien Platz dort liegt das Beerdigungsinstitut. Drinnen warten immer noch ein
paar leere Särge.«
    »Und da drüben — das Haus, das ganz
allein steht? Warum ist es so isoliert?«
    »Das heutige Stadtbild täuscht. Vor dem
Brand standen die Häuser dicht an dicht. Gott weiß, warum das Feuer einige
vernichtet und andere verschont hat. Wäre es mit rechten Dingen zugegangen,
dann hätte das Haus jedenfalls brennen müssen. Es war der übelste Puff im Ort.«
    »Gab es viele davon?«
    »Eine ganze Menge. Und dazu Saloons und
Spielhallen. Promiseville war nie so freizügig und offen wie Bodie, die
Geisterstadt unten in der Nähe des Mono Lake, die man zu einem Statepark
gemacht hat. Aber zu seiner Blütezeit gab es zwanzig Saloons, zahllose Mädchen
für die Nacht und eine Menge recht heruntergekommener Typen.« Er blieb stehen
und warf einen Blick die Straße hinunter. »Die Friends bemühen sich um die
offizielle Erklärung von Promiseville zum historischen Distrikt. Wir würden es
nicht herausputzen oder gar restaurieren, aber es stünde dann Geld von der
Regierung für Erhaltungsmaßnahmen zur Verfügung. Wenn Sie mit etwas aufwarten
könnten, was uns hülfe, diese Schweinehunde von der Mesa fernzuhalten, dann
hätten wir vielleicht eine Chance. Aber wenn die erst anfangen, Erz
abzubauen...« Er zuckte mit den Schultern und ging weiter.
    »Mag sein, daß es sich wie
Geldverschwendung anhört«, setzte er nach einer Weile hinzu, »wenn man solche
alten Ruinen erhält, während Menschen hungern und kein Dach über dem Kopf
haben. Doch wie sonst sollen künftige Generationen wissen, wie es früher war?
Wie sollen wir wissen, wer wir sind, wenn wir keine Ahnung von denen
haben, die vor uns da waren?«
    Ich verstand seine widerstrebenden
Gefühle sehr gut. Es gab so viele Dinge, für die man sich engagieren mußte: den
Hungrigen zu essen geben, gefährdete Tierarten schützen, den Drogenhandel
stoppen, die Kunst fördern, nach Heilungsmethoden für zahllose Krankheiten
suchen, etwas für die Literatur tun, für die Berufsförderung, die Umwelt
schützen, Vergangenes erhalten...
    Die Liste war endlos, und die Vertreter
jeder Richtung bestanden darauf, daß ihre Sache an erster Stelle stehen müsse.
Und in einem sogenannten Land des Überflusses war doch nicht genug Geld für
alles vorhanden. Manchmal stellte ich mir unser Land wie ein Schlachtfeld vor,
voller Armeen aus wohlmeinenden Soldaten, die aber nur immer für ein bestimmtes
Ziel kämpften und sich am Ende gegenseitig ausrotteten. Und die Menschen, in
deren Händen sich Geld und Macht tatsächlich konzentrierten und die auch an
nichts anderes dachten als an Geld und Macht, sahen amüsiert zu.
    Ich folgte Ripinsky über den Gehsteig
und fragte mich, wie derselbe Mann, der so leidenschaftlich für die Erhaltung
von Promiseville plädierte, es gleichzeitig verschachert haben sollte. Tat ich
ihm unrecht, wie Anne-Marie behauptete?
    Das Gebäude, vor dem wir schließlich
ankamen, war der Laden, der mir schon bei meinem ersten Besuch aufgefallen war.
Er hatte eine hohe falsche Fassade und große, staubige Fenster zur Straße. Die
aufgerissene Fliegentür hing lose in den Angeln. Die Innentür scheuerte über
die buckligen Dielen, als Hy sie aufstieß. »Nach Ihnen«, sagte er.
    Der Laden des gehängten Chinesen war
ein einziger, düsterer, höhlenartiger Raum. Über Kopfhöhe lag alles im Dunkeln.
Seltsame sperrige Gegenstände lauerten im Schatten. Die Luft war modrig, die
eingeschlossene Hitze drückend. Ich blieb auf der Schwelle stehen, bis meine
Augen sich an das dämmrige Licht gewöhnt hatten, das durch die schmutzigen
Fenster drang.
    Vor mir lag ein Labyrinth, dessen
Gänge, Windungen und Sackgassen mich zwischen planlos aufgehäuften Gegenständen
herumführten. Als ich es betrat, sah ich verschiedene Schichten: Am Boden
standen und lagen die großen Teile — Möbel, Maschinen für die Arbeit in der
Goldmine, Holzkisten und Fässer. Auf ihnen lagen Haushaltsgegenstände,
Kleidung, Werkzeug, Laternen, Flaschen, irdene Töpfe und Blechdosen. Und über
allem lag eine dicke Schicht Staub.
    »Mein Gott«, sagte ich, »wie kann
Hopwood das ein Museum nennen?«
    Hinter mir ließ Ripinsky einen leicht
erstaunten Grunzton hören.
    Ich quetschte mich in einen der Gänge
und an einem Klavier vorbei, das in mottenzerfressene Felle gewickelt war.

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