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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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war verschlossen.«
    »In welcher Verfassung war er, als er
von hier wegging?«
    Mahoney dachte nach. »Es ging ihm recht
gut. Earl ist ein zäher alter Knabe.«
    Ich schwieg und versuchte, diese neuen
Fakten mit denen in Einklang zu bringen, über die ich bereits verfügte.
    Mahoney setzte hinzu: »Ich nehme an,
Sie müssen das dem Sheriff melden. Guten Gewissens kann ich Sie nicht bitten,
es nicht zu tun.« In seinen blassen, sorgenvollen Augen stand zu lesen, was für
Folgen das für ihn haben würde.
    Mir fiel ein anderer, ebenso
altmodischer und engagierter Arzt ein, den ich kannte: Er hatte mich auf die
Welt geholt, hatte in meiner Jugend, als ich nicht wußte, an wen ich mich
wenden sollte, offen mit mir geredet, mir dann ein Rezept für die Pille
ausgestellt und gesagt, damit hätten meine Eltern nichts zu tun. Er war auch
einer von denen gewesen, die noch Hausbesuche machten, und er hatte nach dem
Motorradunfall meines Bruders John die Nacht an dessen Krankenhausbett gewacht,
als meine Familie nicht in der Stadt war. Es gibt noch immer ein paar dieser
seltenen Mediziner — wenn auch längst nicht so viele, wie wir brauchen — , die
ihren Beruf zum Wohle ihrer Patienten betreiben und nicht um des Profits
willen. Durch mich sollte es jetzt nicht noch einer weniger werden.
    Also sagte ich: »Ich glaube, es ist
nicht nötig, den Sheriff zu unterrichten.«
     
    Ich konnte Mahoneys Telefon am Empfang
benutzen und erreichte Bart Wallace gerade noch, als er Feierabend machen und
die Hall of Justice verlassen wollte. Er nörgelte ein wenig, bis ich ihn daran
erinnerte, daß ich ihm schließlich im Mordfall Erickson die Zusammenarbeit mit
Mono County abnahm. Jetzt sah er bereitwillig nach, was bei den Nachforschungen
für mich herausgekommen war.
    »Von den Bundesbehörden ist natürlich
noch nichts dabei«, bemerkte er. »Von denen kann man nicht erwarten, daß sie
sich beeilen. Das Strafregister hat keine Eintragungen über Hopwood, über die
Ericksons oder über Lionel Ong. Aber weil das nur das kalifornische ist, könnte
in einem anderen Staat etwas vorliegen. Dafür hat Ripinsky eine ganze Latte,
und zwar seit Anfang der Siebziger. Soll ich von vorn anfangen?«
    »Bitte.«
    »Einundsiebzig Verurteilung in
Bridgeport. Die Anklage lautete auf« — Wallace kicherte — »Umreißen einer
Straßenlaterne mit dem Lasso.«
    »Wie bitte?«
    »Eigentlich war das nur eine
Sachbeschädigung. Er hat dreißig Tage gesessen und mußte die Wiederaufrichtung
des Laternenmasts bezahlen.«
    »Guter Gott. Und danach?«
    »Nichts bis Mitte der Achtziger. Ab
dann gibt es eine Serie von Festnahmen und Verurteilungen zwischen L. A. County
und Siskiyou, alle im Zusammenhang mit Demonstrationen für den Umweltschutz.
Wollen Sie die Einzelheiten?«
    »Nein, wenn sonst nichts zwischen
einundsiebzig und dieser Phase vorliegt. Was gibt es über Lily Nickles?«
    »Vierundachtzig zwei Verurteilungen in
Sacramento wegen Anstiftung zu einer Ordnungswidrigkeit. Längst nicht so
interessant wie Ripinsky. Aber Sanderman — den Sie mir noch nachträglich
genannt haben — hat einiges auf dem Kerbholz.«
    Ich setzte mich gerade auf und griff
nach meinem Notizblock. »Ja?«
    »Neunzehndreiundachtzig verurteilt
wegen Industriespionage. Hat seinem Arbeitgeber im Silicon Valley Computerpläne
gestohlen und an die Konkurrenz verkauft. Verbrachte einige Zeit in einem
dieser äußerst freizügigen Gefängnisse, in die man sogar seine Golfschläger
mitnehmen kann.«
    »In Sandermans Fall war es
wahrscheinlich sein PC.«
    »Wie?«
    »Schon gut. War es das?«
    »Nein. Während er auf Kaution wieder
raus war und auf die Berufung wartete, reichte seine Frau die Scheidung ein.
Sanderman ging mit einer Kanone auf sie los. Hat nicht geschossen, sie aber
ganz schön verdroschen. Sie klagte auf Schmerzensgeld, hat dann die Klage aber
wieder zurückgezogen — wahrscheinlich als Gegenleistung für eine bessere
Abfindung.«
    »Sonst noch was?«
    »Das wär’s. Geben Sie mir eine Nummer,
unter der ich Sie erreichen kann, wenn die Bundesbehörden sich melden — falls
sie das überhaupt tun.«
    Ich hatte meine Zweifel, ob das FBI
sich zum Wochenende noch rühren würde. »Rufen Sie einfach bei All Souls an.
Wenn ich nicht da bin, frage ich jedenfalls nach.«
    Ich dankte Bart, hängte ein und starrte
auf die nackte, cremefarbene Wand der Empfangsloge. Ich dachte über die
konstruierte Lebensgeschichte nach, mit der mich Ned Sanderman gefüttert hatte
— uns alle.

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