Niemandsland
sieben«, sagte er, »da war ich im Coalition-Wohnwagen.« Dann sah man ihm
an, daß er kapierte. »Das also war dieser Al.«
Ich wartete mit hochgezogenen
Augenbrauen.
»Ich weiß nicht, an welcher Stelle
Lionel in die Geschichte hineinkommt, aber folgendes ist vor sich gegangen. Ich
war jeden Nachmittag im Wohnwagen, um Anrufe für Ned entgegenzunehmen. Er hatte
sich nämlich nicht die Mühe gemacht, irgendwen darüber zu informieren, wo er
war oder was er tat. Anne-Marie war gerade hereingekommen und fragte, ob ich
etwas zu essen holen würde. Sie nahm den Hörer ab. Es war wieder ein Anruf für
Ned. Sie sagte, sie hätte ihn am Wochenende nicht gesehen, und er würde wohl
bald zurück sein. Aber vielleicht wüßte ich Genaueres. Damit reichte sie mir
den Hörer. Der Kerl — Al — war richtig aufdringlich und sagte, es sei dringend.
Doch ich konnte ihm auch nicht mehr sagen als Anne-Marie. Er bat mich, Ned
auszurichten, er solle ihn anrufen, und ich versprach es ihm.«
Ich rief mir den Teil des Gesprächs ins
Gedächtnis zurück, den ich mitbekommen hatte: Er muß Ihnen doch etwas gesagt haben... Nein, er hätte
müssen, aber er hat nicht... Aber sie sagt, sie hat ihn getroffen — Wissen Sie,
es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Ich wüßte gern selber, wann
er herkommt.
Es konnte so oder so sein, aber ich mußte
zugeben, daß Ripinskys Version weit überzeugender klang — und er hatte
Anne-Marie als Zeugin.
Hy beobachtete mich. Dann winkte er der
Kellnerin. »Wollen Sie das nicht trinken?« Er zeigte auf das Bier vor mir.
Ich schüttelte verwirrt den Kopf und
versuchte, das, was er mir gerade gesagt hatte, in meine Gedanken einzuordnen.
»Wollen Sie etwas anderes?«
»Einen Weißwein, bitte.«
»Wird gemacht.« Er zog mein unberührtes
Bier zu sich herüber und bestellte den Wein.
Ich entzog mich seinem prüfenden Blick
und starrte durch das Fenster auf den See. Es dämmerte. Der Schatten legte
seine langen Finger auf das Wasser. Die Vögel flogen zurück zu ihren Nestern in
den Tufa-Türmen.
Es war mir, weiß Gott, nicht das erste
Mal passiert, daß ich in einem Fall vorschnell unzulässige Schlüsse über ein
wichtiges Motiv zog, aber diesmal war es besonders übereilt und wohl leicht
paranoid gewesen. Es schien, als hätte ich Hy verdächtigen wollen und hätte tatsächlich gehofft, ihn
eines abgekarteten Spiels mit Transpacific überführen zu können. Warum?
Um zwischen mich und diesen Mann, von
dem ich mich stark angezogen fühlte, einen Puffer zu schieben? Jemanden aus
meinem Leben zu drängen, zu dem ich eine sehr grundlegende Beziehung spürte? Hy
verstand meine dunklere Seite, die ich George nie zu enthüllen gewagt hatte. Er
verstand sie, ohne sie zu billigen oder zu verurteilen. Akzeptierte meine
gewalttätigen Ansätze und gefährlichen Impulse, weil er früher einmal selbst
Opfer solcher Impulse gewesen war.
Ich fürchtete mich vor dieser Art
Verwandtschaft mit ihm. Sie könnte meinen gerade erst gefundenen und so
bequemen Status quo erschüttern — nein, für immer zerstören.
Als die Kellnerin das Weinglas vor mir
abstellte, wandte ich mich wieder Hy zu. Ich wußte, daß mir die Verwirrung
anzusehen war und daß er in meinen Augen mehr lesen würde, als ich preiszugeben
bereit gewesen wäre. Er legte seine Hand auf meine und sagte: »Es ist okay,
McCone.«
»Nein, es ist nicht okay.«
»Machen Sie sich deswegen keine
Gedanken. Wir machen einen Strich und fangen von vorn an. Einverstanden?«
»Einverstanden.« Ich hob mein Glas, und
wir tranken uns feierlich zu.
»In Ordnung«, sagte ich und stellte das
Glas ab. »Knight wollte sich mit Ong in Verbindung setzen. Das klappte nicht,
weil Ong verschwunden war. Also rief er Ned an. Das bedeutet, daß Ned in die
Sache verwickelt ist — «
»Augenblick.« Hy nahm seine Hand von
meiner und hielt sie hoch. »Ong ist verschwunden?«
»Ja, entweder entführt oder... oh.« Ich
unterbrach, erneut verwirrt. »Ich habe Ihnen das alles ja noch nicht erzählt.«
»Nein, es ist Ihnen prima gelungen,
mich hinzuhalten, und jetzt verstehe ich auch, warum.«
»Hy, ich bin — «
»Noch eine Entschuldigung, und Sie
bekommen nie mehr eine zweite Chance bei mir.«
»Chance wozu?«
Er sah mich nur an — lange, ruhig und
vielsagend.
Ich spürte ein angenehmes Kribbeln die
Wirbelsäule entlang und sagte: »Dann überspringe ich also die Entschuldigung
und erzähle Ihnen alles.«
Als ich fertig war, bestellte uns Hy
eine neue
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