Niemandsland
Francisco Bay gelebt. Aber es würde mich nicht überraschen, wenn sie
jetzt noch ein bißchen mehr Distanz zwischen sich und ihren Vater gelegt
hätte.«
»Warum?«
»Peggy mußte sich aus seiner Umklammerung
befreien, um selber leben zu können. Nach dem Tod ihrer Mutter hängte sich Earl
so an das Mädchen, wie ein Elternteil das tut, wenn ihm sonst nichts mehr
geblieben ist. Keiner war gut genug für sie. Er verscheuchte jeden Jungen, der
Interesse an Peggy zeigte — einschließlich einer Person an diesem Tisch.« Sie
warf Hy einen Blick zu, aber der fixierte das rotkarierte Tischtuch.
Ich fragte: »Sie verließ Vernon gleich
nach dem High-School-Abschluß?«
»Genau. Sie bekam ein Teilstipendium in
Berkeley, aber Earl wollte sie nicht gehen lassen. Sie hatten schreckliche
Auseinandersetzungen deswegen, und schließlich packte sie ihren Kram und ging
fort. In Berkeley besorgte sie sich einen Job und schaffte das College auf
eigene Faust. Das war Jahre, bevor die beiden ihr Verhältnis wieder in Ordnung
brachten, aber auch dann ging es immer noch hü und hott, hü und hott. Kaum
kamen sie miteinander aus, mischte er sich auch schon wieder in ihre
Angelegenheiten. Sie gab ihm die Schuld am Scheitern ihrer ersten Ehe. Ich
glaube nicht, daß die beiden je miteinander zurechtkommen.«
»Als sie nach Berkeley gegangen war,
hat Earl da an allem das Interesse verloren und ist ins Stone Valley gezogen?«
Rose sah mich erstaunt an. »Er zog ins
Tal, das stimmt, doch ich würde nicht sagen, daß er das Interesse an den Dingen
verlor. Er entwickelte eine richtige Besessenheit.«
»Worin?«
»Wie gesagt, er ist so eine Art
Geschichtsforscher, jedenfalls soweit es Promiseville und die Mine angeht, die
von seiner Familie betrieben wurde.« Sie sah Hy an. »Haben Sie einmal sein
kleines Museum gesehen?«
Ripinsky schüttelte den Kopf.
»Stimmt«, fuhr Rose fort, »als er es
zusammenstellte, waren Sie selber weg. Aber es überrascht mich, daß er Sie und
Julie nie hingeschleppt hat. Ich glaubte, ihr drei wart gute Freunde.«
»Julie hing immer mehr an Earl als
ich.« Hy schloß die Augen und versuchte, sich zu erinnern. »Jetzt, da Sie es
sagen, glaube ich doch, daß er sie einmal mitgenommen hat. Damals hatte ich sie
gerade kennengelernt. Ich erinnere mich dunkel an etwas in der Richtung.«
»Also soviel ich weiß, kennen nicht
viele hier sein Museum. Earl wurde im Alter eine Art Eremit.«
»Wo ist das Museum — in seiner Hütte?«
fragte Anne-Marie.
»Es befindet sich in dem ehemaligen
Laden des Chinaman am Ende der Main Street. Earl hat das alte Zeug
eingesammelt, das das große Feuer übriggelassen hatte — alles, von der
Goldschürfausrüstung bis zu Haushaltsgegenständen und hat es dort aufgestellt.
Nur einmal durfte ich es mir auch ansehen. Es kam mir irgendwie... mitleiderregend
vor.«
Mir fiel ein, daß ich einen Laden in
der Nähe der Stelle gesehen hatte, wo ich gestern meinen Wagen geparkt hatte:
verrostete Dosen und verstaubte Flaschen, die man kaum durch die
rußverschmierten Fenster erkennen konnte. »Wie lang ist das her?«
»Jahrhunderte, scheint mir. Er könnte
es inzwischen wieder aufgegeben haben, aber irgendwie bezweifle ich das. Diese
Stadt und die alte Mine — Earl ist gewissermaßen besessen davon.«
»Um so seltsamer, daß er sein Land
verkauft hat. Hat er Ihnen jemals erzählt, wie es dazu gekommen ist?«
Rose schob kampflustig das Kinn vor.
»Er hat Besseres zu tun, als mit mir über den kommerziellen Goldabbau im Stone
Valley zu reden.«
»Wissen Sie, daß er unter dem Marktwert
verkauft hat?«
»Nein, aber es überrascht mich nicht.
Earl ist Geld völlig piepe. Nicht gleichgültig ist ihm die Frage, wann die Mine
wieder in Betrieb genommen wird. Es gehört zu seiner fixen Idee, daß
Promiseville aus seiner Asche auferstehen wird.« Sie schnaufte. »Wir haben ihm
alle klarzumachen versucht, daß gerade der Abbau durch eine große, moderne
Firma dieses Tal vernichten wird. Aber was soll ich sagen? Earl ist eben nicht
besonders helle.«
»Vielleicht will er nur, daß Sie ihn
nicht für besonders helle halten«, wandte Hy ein.
»Ich kenne Earl nun fast mein ganzes
Leben lang, und ich kann Ihnen versichern, er ist zumindest etwas beschränkt.«
Rose sah auf die Uhr. »Wer hätte das gedacht! Es ist schon nach elf, und um
halb zwölf kommt ein Film mit Clint Eastwood. Sie können ihn sich gern alle bei
mir anschauen.«
Wir lehnten höflich ab, und Rose ging.
Als sie weg war,
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