Niemandsland
paar
Tage lang als Verbindungsmann für ihn zu fungieren. Kamada sollte eingehende
Mitteilungen bloß entgegennehmen und warten, bis Erickson sie abrief.
Ob er sich gemeldet habe, wollte ich
wissen.
Nein, sagte Mr. Kamada, das habe er
nicht. Aber es seien auch gar keine Mitteilungen für ihn eingegangen.
Was mit dem Material für die Seminare
sei, die aus Ericksons Büro an die Sumeri-Zentrale in Osaka geschickt wurden,
fragte ich. Ob man das dort nicht merkwürdig gefunden habe, nachdem es doch gar
kein Programm dafür gab?
O nein, sagte Mr. Kamada. Das hätte ich
nicht richtig verstanden. Das Material sei für die Seminare im nächsten Monat gedacht gewesen.
Erickson hatte also sein Verschwinden
so arrangiert: Der Vertrag über die Sumeri-Seminare war in Ordnung. Er hatte
bloß das falsche Datum eingesetzt. Die Frage war nur, wie er das erklärt hätte,
wenn der richtige Termin erreicht war.
Als ich den Hörer des öffentlichen
Fernsprechers einhängte, dachte ich über Ericksons Motive nach. Der Grund für
seine Reise ins Mono County mußte ein sehr heikler und geheimnisvoller gewesen
sein, wenn er einen derart raffinierten Plan ausheckte, nur um ein paar Tage
ohne Erklärung fort sein zu können. Ein paar Tage — um was zu tun?
Eines war sicher: Es hatte mit den
Plänen von Transpacific zu tun, diese Mine wiederzueröffnen. Vielleicht konnte
Marcy Cheung von der Sino-American Alliance ein wenig Licht auf diese
Gesellschaft und ihren Vorstandsvorsitzenden, Lionel Ong, werfen.
Ein Spaziergang zwischen den Blocks
ganz im Osten der Jackson Street, nicht weit vom Embarcadero und dem U. S.
Custom House, ist wie ein Schritt zurück ins alte San Francisco. Sie liegen zwar
alle im Schatten der Transamerica Pyramid — unserem hervorragendsten Beispiel
architektonischer Exzesse im späten zwanzigsten Jahrhundert — und nur einen
Steinwurf entfernt von den lauten Schluchten aus Stahl und Glas des zentralen
Finanzdistrikts, aber diese wenigen Blocks sind ruhig, schmal und von Bäumen
gesäumt. Die renovierten Ziegelbauten, und viele stammen noch aus der Zeit vor
dem Erdbeben von 1906, beherbergen kleine Geschäfte, Antiquitätenläden und
Ausstellungsräume von Inneneinrichtungsfirmen. Die Sino-American Alliance nahm
das ganze Erdgeschoß eines dieser Häuser ein — ein Eckhaus an einer schmalen
Gasse, an deren Ende sich ein Straßencafe im Pariser Stil befand.
Die ruhige Atmosphäre der Straße
übertrug sich auch auf den Empfangsbereich im Innern. Er war typisch chinesisch
ausgestattet: schwarzlackierte Möbel, Lampen in Melonenform, Bilder mit
chinesischen Schriftzeichen. Und die Frau mit ihrem glatten, glänzenden Haar
hinter dem Empfangstisch trug ein Kleid aus jadegrünem Seidenmoire mit einem
Mandarinkragen. Als sie in Marcy Cheungs Büro anrief und meine Ankunft meldete,
tat sie das ohne Eile, und ihre Stimme war so weich wie meine Schritte auf dem
apricotblauen Blumenmuster des Teppichs.
Doch als ich an dem dreiteiligen
Seidenparavent vorbei war, war es auch mit der Stille vorbei. Auf der anderen
Seite brach ein Sturm von läutenden Telefonen, klappernden Schreibmaschinen und
lauten Stimmen über mich herein. Als ich dann den Raum betrat, an dem
›Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit‹ stand, fühlte ich mich plötzlich ins Auge
eines Taifuns geschleudert.
Zwei Schreibtische waren übersät mit
Haufen von Fotos und Papieren. Aufgeschlagene Aktenordner lagen herum, aus
denen die Seiten quollen. Über ein Leuchtpult lagen Dias verstreut. Von einem
Zeichenbrett hing eine Skizze zu Dreivierteln herunter. Die Wände bestanden aus
Schichten von Postern, Flugblättern und Terminkalendern. Ein Blatt mit dem
Aufdruck ›Dezember‹ war mit einem großen roten X verziert. Mitten darin steckte
der Pfeil aus einem Dartspiel. Und unten auf dem Fußboden saß, umgeben von
weiteren Papier- und Fotostapeln nebst den Resten eines Lunchs, eine junge Frau
mit hüftlangem Haar, das im Nacken mit einem Gummi zusammengebunden war. Sie
hatte Bluejeans an und saß mit ihren nackten Füßen im Schneidersitz. Sie beugte
sich gerade vor und griff nach einem halben Sandwich, während sie ins Telefon
sprach. Sie biß nicht in ihr Sandwich, sondern wedelte damit nur, um ihre Worte
zu unterstreichen.
»Sie sagen, Sie haben Probleme? Die habe ich auch. Mein
bescheuerter Assistent hat gekündigt. Und ich brauche diese Proben noch heute,
verdammt noch mal!«
Ich umrundete einen aufgeblasenen
Plastikdrachen, der eine Flamme
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