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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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als hilft.« 191 Wahrscheinlich kann sie das beurteilen. Mit Cigarren würde er eine größere Wohltat erweisen als mit dem eigenen Selbst. Der Einzelne sei jetzt ein Hindernis. Es klingt schopenhauerisch allgemein und ist doch nicht misszuverstehen: Er, der Professor, der ihre Blumenkübel umwirft, weil er sie nicht sieht, ist ein Hindernis. Es ist empörend.
    Dass er sich das von einer Frau sagen lassen muss. Von einer Nicht-Pythia, einer Nicht-Erda, kaum älter als er. Er empfindet die Stellung, die das Weib bei den Griechen hatte, als vorbildlich: gar keine. Die Frau sei für den Staat, was der Schlaf für den Menschen sei: die heilende Kraft, die das Verbrauchte wieder ersetzt. … Das hellenische Weib, als Mutter, mußte im Dunkel leben, weil der politische Trieb, sammt seinen höchsten Zwecken, es forderte. 192 Nur der zerrüttete Staat habe das Weib als Ergänzerin nötig, in dem es ihm in der Familie eine gewisse Macht einräumt, und dieses hier maßt sich an, ihm von der Warte der Staatskunst her zu begründen, warum er nicht in den Krieg ziehen darf. Es ist demütigend. Und dennoch ist sie im Zweifel klüger als zehn Männer: »Und noch eines ist zu überlegen, die Werke des Friedens dürfen nicht brach liegen wenn der Kampf nicht ein verzweifelter ist; Sie sind ein Gelehrter und mich dünkt diess müssen Sie bleiben bis es nicht Schande ist Gelehrter zu sein« 193 .
    Es gilt zu vermerken, dass Friedrich Nietzsche bereits jetzt und im höchsten Maße unfreiwillig, geradezu beiläufig das Phänomen Richard Wagner erklärt hat, und zwar als Dekadenzphänomen, was ihm noch ganz und gar fernliegt. Es ist – ihm selbst wohl verborgen – einfach geschehen: In der neueren Zeit, bei der völligen Zerrüttung der Staatstendenz habe das Weib als Helferin einspringen müssen. Der vaterlose Zögling eines Frauenregiments rekapituliert, dass die Familie als Notbehelf für den Staat sein Werk sei: und in diesem Sinn mußte sich auch das Kunst zi el des Staates zu dem einer häuslichen Kunst erniedrigen. Daher ist es gekommen, daß die Liebesleidenschaft als der einzige dem Weibe völlig zugängliche Bereich, allmählich unsre Kunst bis ins Innerste bestimmt hat. 194 So weit zu Richard Wagner, und jetzt zu Cosima: Insgleichen, daß die Erziehung des Hauses sich gleichsam als die einzig natürliche geberdet und die des Staates nur als einen fragwürdigen Eingriff in ihre Rechte duldet 195 .
    Wenn da noch irgendein Zögern gewesen sein sollte, nach Cosimas Einspruch muss er gehen. Hans Richter will auch mit. Cosima hat wohl nichts anderes erwartet; sie schreibt ihm, gewissermaßen im Stehen, in der Luzerner Schiffmann ’ schen Buchhandlung, damit ihn die Grüße noch erreichen. Immerhin ist sie erleichtert, dass er Sanitäter statt Soldat wird. Wohin sie Richter senden solle, fragt sie, und: »Ein Wort von Ihnen wird uns immer unschätzbar sein. Gott weiß was ich Ihnen schreibe, ich bin unsäglich ergriffen! Leben Sie wohl, seien Sie von allen guten Geistern beschützt! Cosima« 196 .
    *
    Blandine lacht. Der Plan des nächsten Tages ist zu komisch: »Du heiratest Onkel Richard!« Sie lacht immer lauter, bis ihr im letzten Augenblick, wahrscheinlich unter dem missbilligenden Blick ihrer Mutter einfällt, dass sie Erziehung hat.
    Es ist das Ende einer langen Unterredung Cosima von Bülows mit ihren Kindern. Irgendwann musste sie ihnen mitteilen, dass sie nicht länger von Bülow heißen wird. Genauer: Schon ab morgen nicht mehr. Es schien ihr dem Ernst der Situation angemessen, zu weinen. Schon weil es kein Glück auf Erden gibt, dass nicht mit Leid bezahlt ist. Grundkurs Schopenhauer. Die Kleinen weinten mit, dann lächelten sie mit, und dann fing Blandine an zu lachen: »Du heiratest Onkel Richard!«
    Um 8.00 Uhr findet die Trauung statt, am 25. August, dem 25. Geburtstag des Königs. Man kann Gunst und Segen eines Königs nicht erzwingen, aber man kann sie nahelegen, schon durch die Wahl eines Datums. Wagner hatte dem König zum Geburtstag die vollständige Orchesterskizze des Vorspiels und des ersten Aufzugs der »Götterdämmerung« geschickt mitsamt Gedicht auf der zweiten Titelseite:
    Gesprochen ist das Königswort,
    dem Deutschland neu erstanden,
    der Völker edler Ruhmeshort
    befreit aus schmähl’chen Banden;
    was nie gelang der Klugen Rath,
    das schuf ein Königswort zur That:
    …
    Die erste Zeile ist keinesfalls Anspielung auf einen unvergessenen königlichen Meineid, als vielmehr auf Ludwigs

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