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Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe

Titel: Nietzsche und Wagner: Geschichte einer Hassliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Decker
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Freiheit wahren, wirklich nur um jene Treue in einem höheren Sinne halten zu können. 306
    Es ist wohl die Dialektik von Freiheit und Gebundenheit. Er ist gern ein Gebundener, von ganzem Herzen – aber nur aus Freiheit –, genauso wie er wohl mit seiner ganzen Freiheit nichts anzufangen wüsste, wenn er nicht ein Gebundener wäre. Freiheit ist eine individuelle Bestimmung, ahnt er.
    Zum bloßen Gefolgsmann taugt er nicht, wer wüsste das besser als Richard Wagner, wer schätzte es mehr? Aber Friedrich Nietzsches Bayreuth-Enthaltung kann gar nicht abgründig genug gedacht werden. Nicht aus Gleichgültigkeit bleibt er fern, im Gegenteil. Wenn es einen heiligen Ort für Friedrich Nietzsche geben kann, dann ist dies einer. Er wird es immer wieder notieren: Es war mehr als ein Fest, was er da zu Pfingsten des letzten Jahres in Bayreuth erlebt hatte. Ich glaube doch, es waren die glücklichsten Tage, die ich gehabt habe. Es lag etwas in der Luft, das ich nirgends sonst spürte, etwas ganz Unsagbares, aber Hoffnungsreichstes. 307 Und wie die Pilger älteren Typs ein Heiligtum nicht ohne Vorbereitung, nicht ohne Sammlung betreten, so will auch er es nicht tun. Sich fern halten von dem, was man liebt, von dem Ort, an dem man sein möchte – er ist ein begabter Selbstquäler.
    Bald nach seiner Frau meldet sich auch der versöhnte Konzertreisende: »O Freund! Ich hatte Malheur! Wie konnten Sie mir aber auch die Hefte Ihrer philologischen Arbeit nach Berlin schicken?«, beginnt Richard Wagner, um geradewegs auf den Befund zu kommen: Sie sind weg! Egal wohin er kommt, überall befindet sich Richard Wagner jetzt in Gefahr, von Lorbeerkränzen erschlagen zu werden und unter Beifallsstürmen zu ertauben. Er schläft nicht mehr, das Herz tut ihm weh. Er ist diesem Reiseleben nicht gewachsen, aber an diesem 27. Februar, als er Friedrich Nietzsche schreibt, hat er das erste Mal wieder richtig geschlafen, und danach ist er, Friedrich Nietzsche, sein erster Gedanke oder zumindest der zweite: »Mir vergeht jetzt manche Lust. Es kommen die Momente, wo ich mich tief besinne, und dann kommen Sie gewöhnlich auch mit vor, – so zwischen mir und Fidi. Aber es dauert kurz«, dann würde er vor lauter Wagner-Vereinen und Wagner-Konzerten überhaupt nichts mehr denken. »Also Geduld – Wie ich sie ja auch mit Ihnen habe!«
    Aber Friedrich Nietzsche hat keine mehr. Ihn überkommt das deutliche Gefühl, dringend nach Franken reisen zu müssen, besser heute als morgen, und egal auf welchen Umwegen. Und Rohde hat die beste Idee: Wir fahren zusammen!
    »Vernünftige Vorschläge erfreuen immer zumal in Form von herzlich acceptirten Besuchsanmeldungen also Sonntag«, telegrafiert Richard Wagner am 2. April nach Basel. Vier Tage später treffen die beiden meistverfemten Philologen des Reichs bei seinem meistbeargwöhnten, jedoch auch meistgeehrten Musiker ein. Sie besichtigen den Rohbau Wahnfrieds und am nächsten Morgen den des Theaters. Sie essen gemeinsam mit dem Bayreuther Bürgermeister, am Abend des 7. April beginnt Friedrich Nietzsche die Vorlesung aus seinem neuen Manuskript.
    Er hat nur zwei Hörer in Basel. Er kann es sehr genießen, endlich wieder vor einem größeren Auditorium zu lesen. Wagner, Cosima, Rohde, das sind schon mal drei. Und vielleicht hört der kritische Jakob auch zu.
    Gewöhnlich ist es das wacheste, dankbarste Auditorium, das er sich wünschen kann. Nur seltsam, diesmal scheint es sich schon am zweiten Abend nicht mehr richtig konzentrieren zu können. Richard Wagner muss nicht ins sechste Jahrhundert vor Christus zurückgehen, um tragische Menschen und tragisches Bewusstsein zu finden. Es genügt, wenn er sich seine Baustellen anschaut. Er schläft schlecht. Der Mensch, der nicht mehr schläft, ist der tragische Mensch per se.
    In diesem Sommer schon sollten die ersten Festspiele stattfinden. Der Termin ist definitiv verpasst. Aber werden sie je stattfinden? Friedrich Nietzsche und Richard Wagner haben in der Vergangenheit zwar viel über die griechische Tragödie nachgedacht, aber nie über die Organisatoren der Tragödie und deren Finanzierung. Das ist nun anders. Zwar habe der Khedive von Ägypten soeben Patronatsscheine im Wert von 500 Pfund Sterling erworben, aber können die Ägypter Bayreuth retten?
    Schon am zweiten Abend fällt die Vorlesung über die tragischen Philosophen aus zugunsten der Erörterungen von Finanzierungsmodellen. Eines hat Friedrich Nietzsches Schwester Elisabeth soeben praktiziert, es ist

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