Niewinter 01 - Gauntlgrym
von sich schob, um auch den anderen Arm herauszustrecken, beide Arme voneinander zu lösen und schließlich auch den Kopf aus dem Bauch des pyroklastischen Stroms zu heben. Sein Gezappel wurde zunehmend hektischer, denn die Kreatur wollte endlich frei sein und auf die Jagd nach Lebenden gehen, natürlich nur denen, die nicht zu Szass Tam dem Allmächtigen gehörten.
Neben Sylora stand Dahlia, die weit weniger beeindruckend aussah als vor zehn Jahren. Dank ihrer elfischen Abstammung hatte sie sich überhaupt nicht verändert, denn zehn Jahre gingen an ihresgleichen spurlos vorbei. Dahlia trug ihre Reisekleider: die hohen schwarzen Stiefel, den schwarzen Hut mit dem roten Band, die weiße Bluse unter der schwarzen Lederweste, den schwarzen Rock, dessen Schlitz fast bis zur Hüfte reichte, und dazu die neun Diamantstecker im linken Ohr und den einen im rechten. Man hatte ihr befohlen, sie weder abzunehmen noch die Anordnung zu verändern – als Erinnerung für Korvin Dor’crae, dass er von Syloras Eingreifen profitiert hatte. Und natürlich führte sie immer noch Kozahs Nadel. Aber angesichts Syloras festem, sicherem Auftreten, das anders war als früher, wirkte Dahlia unbedeutender.
Sie lächelte nicht, als der neue Untertan geboren wurde. Dahlia lächelte überhaupt kaum mehr.
»Kopf hoch, Kleine«, sagte Sylora zu ihr, wenn auch eher spöttisch als gutmütig. »Sieh nur, was wir erreicht haben.«
Dahlia nickte gehorsam und fragte sich nicht zum ersten Mal, wie sie so tief hatte fallen können. Natürlich hatte ihr Abrutschen in den Reihen von Szass Tams Hierarchie mit jener Regung ihres Gewissens begonnen, die vor so langer Zeit dazu geführt hatte, dass sie ihre Tat nicht wie versprochen vollendet, sondern dabei versagt hatte. Dass ausgerechnet Sylora Salm die Sache dann gerettet hatte, war auch nicht gerade hilfreich für sie gewesen. Dahlia hatte sich gewundert, dass man sie überhaupt am Leben gelassen hatte, nachdem sie in Luskan aufgespürt worden war, und sie war sich noch immer nicht sicher, ob sie diese Gnade wirklich ihrer Leistung beim Aufspüren des Urelementar zu verdanken hatte oder ob es nicht vielmehr darum ging, dass Sylora sie unterjochen und schikanieren konnte.
So oft hatte Dahlia sich schon gewünscht, sie hätten sie lieber getötet.
Doch abgesehen von ihrem verständlichen Abstieg in der Hierarchie gab es etwas, was Dahlia noch mehr beunruhigte, und das war der Verlust ihrer Unerbittlichkeit, ihrer Leidenschaft und ihrer unbekümmerten Art – Eigenschaften, die zuvor lange ihr Leben geprägt hatten.
»Ich habe mit Szass Tam über dich gesprochen«, bemerkte Sylora, während sie den Zombie in den Wald entließ, wo er Shadovar jagen sollte. Sie lächelte Dahlia trocken an. »Deine Bereitschaft, dich meinem Willen zu unterwerfen, freut ihn.«
Dahlia gab sich große Mühe, den Hass in ihren blauen Augen zu bezähmen, doch Syloras breiter werdendes Lächeln zeigte an, dass es ihr nicht gelungen war. Genau darauf hatte Sylora es auch angelegt. Tag für Tag, Jahr für Jahr hatte sie es genossen, Dahlia auf ihren Platz zu verweisen. Nicht ein einziges Mal hatte sie zu körperlichen Züchtigungen gegriffen, wie sie es bei ihren Ashmadai gerne tat. Nein, sie hatte sich ganz auf die psychische Folter verlegt, ein geistiges Katz-und-Maus-Spiel nach dem anderen, und jede Bemerkung zweideutig.
»Unser Ungeheuer wird wieder wach«, fuhr Sylora fort. »Dieses Mal wird es mehr Tod und Zerstörung bewirken und damit den Todesring nähren. So können wir unsere Position hier sichern. Aber die Sendboten der Enklave der Schatten sind ohnehin auf dem Rückzug.«
»Es gibt sie noch«, wagte Dahlia einzuwenden.
»Aber nicht mehr in nennenswerter Zahl in Niewinter«, entgegnete Sylora. »Während sie diese Stadt fest im Griff hatten, bis ich das Ungeheuer geweckt habe, stimmt’s?« Ihr Tonfall machte Dahlia unmissverständlich klar, dass sie tatsächlich eine Antwort erwartete.
»Ja, Herrin«, bestätigte die Elfenkriegerin pflichtbewusst.
»Sie sind nur noch hier, weil sie im Niewinterwald nach alten Elfenschätzen suchen, aber stattdessen treffen sie Tag für Tag auf meine Untertanen, die hungrig nach ihrem Blut aus der Asche steigen.« Sylora blickte über die Wiese zu ein paar Ashmadai, die neben drei anderen Zombies standen, welche nicht aschgrau, sondern dunkler waren. Zwei der drei wiesen klaffende Wunden auf, als hätte jemand an ihren Leichen genagt, was sogar der Fall war. »Der Allmächtige
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