Niewinter 02 - Salvatore, R: Niewinter 02 - Neverwinter
von Tiefwasser?
War es ein Verbrechen, wenn ein Hungernder etwas zu essen stahl oder ein Frierender einen Mantel, wenn ein verarmter Mensch in dieser Welt sich nicht mehr auf die Gesetze verlassen konnte?
Drizzt war froh, dass er Stuyles und seine Bande nicht bestraft hatte, und jeder weitere Hof, an dem sie vorbeikamen, bestätigte ihn in seiner Einschätzung. Aber diese Einsicht konnte dem idealistischen, optimistischen Dunkelelfen den Schmerz über eine derart trostlose Realität nicht nehmen.
Schließlich kamen die Mauern von Luskan in Sicht. Drizzt zügelte Andahar und schwang sich seitlich herunter. Sobald auch Dahlia abgesessen war, entließ er das Reittier, das davonstob und mit jedem Satz um die Hälfte kleiner wurde, bis es nicht mehr zu sehen war.
»Warum hast du mich aufgehalten?«, fragte Drizzt.
Bei Dahlias verdutztem Blick tippte er auf seinen Geldbeutel.
»Du wolltest die Bauersfrau mit ein paar Goldmünzen retten …«, sagte Dahlia.
»Ihr helfen, nicht sie retten.«
»Sie verdammen, meinst du.«
»Was meinst du damit?«
»Was glaubst du, was die Händler hier denken, wenn eine Bäuerin oder eines ihrer schmutzstarrenden Kinder mit einem Goldstück auf dem Markt aufkreuzt?«, erwiderte Dahlia.
»Ich hätte ihnen Silber oder auch Kupfer geben können«, hielt der Dunkelelf dagegen.
»Selbst dann. Wenn sie Münzen besäße, würden alle Diebe des Landes darauf kommen, dass es sich lohnt, sie auszurauben. Es wimmelt hier nur so von Dieben und Schlimmerem. Bist du durch deinen ewigen Glauben an das Gute so blind, dass du nicht einmal diese schlichte Wahrheit erkennst?«
»Willst du mich etwa unterweisen?«
»Wenn es nötig ist«, sagte sie schnippisch.
»Und auf mich aufpassen, mich zum Heil führen?«
»Wohl kaum! Meine Lektionen dürften eher das Gegenteil bewirken. Vermutlich bin ich für dich ein Dämon, der dir den Weg zur … Erheiterung weist.«
Drizzt schüttelte den Kopf und begab sich auf den Weg nach Luskan. Er fand Dahlias Sticheleien nicht besonders komisch.
»Wenn du ihr hättest helfen wollen, hättest du ein Kaninchen oder ein Reh für sie jagen können«, sagte die Elfenfrau. »Oder ein bisschen Feuerholz sammeln.«
»Und du wusstest das und hast kein Wort zu mir gesagt, als wir noch etwas hätten tun können.«
»Du verwechselst mich mit jemandem, dem das nicht egal wäre.«
Drizzt fuhr aufgebracht herum. Er stand kurz vor dem Platzen.
»Drizzt Do’Urden, der Bauer für Bauer die Welt rettet.« Dahlia spuckte ihm vor die Füße und trat dann mit dem Stab in der Hand zurück, als würde sie nur auf seinen Angriff warten.
Aber Drizzt war nach diesem verwirrenden Tag und angesichts der Schatten in seiner Welt viel zu beschäftigt. Mit einem hilflosen Schnauben wandte er sich wieder der Stadt der Segel zu. Nach wenigen Schritten holte Dahlia ihn ein.
»Wir finden schon einen Weg. Unseren Weg«, sagte sie.
»Zu helfen?«
»Uns wenigstens zu amüsieren. Und bedenke: Wenn mein Stab Sylora Salm den Schädel spaltet, wird die Welt ein hellerer und besserer Ort sein.« Ein Grinsen erschien auf ihrem Gesicht, aber Drizzt schüttelte den Kopf.
»Das Licht naht früher«, versprach er. »Denn bis du zuschlägst, habe ich Sylora schon erledigt.«
»Ist das eine Wette?«
Diesmal musste der Drow doch lächeln.
»Ich liebe eine gute Wette. Aber Vorsicht, denn ich verliere nie«, betonte sie.
»Selbst wenn du mich vorher töten musst, um dir den Sieg zu sichern, vermute ich.«
»Denk ruhig weiter in diese Richtung«, flötete Dahlia verspielt. »Zweifel sind mir sehr willkommen.«
3
Kirschkuchen
Valindra stand jenseits einer Lichtung vor einem kleinen Haus im Süden von Niewinter. Das Kaminfeuer im Inneren des Hauses warf einen verlockenden, warmen Schein in die Kühle der Nacht, wirkte so weitab von der wiederkehrenden Bevölkerung der alten Stadt jedoch sehr einsam.
»Da drin?«, fragte Jestry skeptisch. »Da ist derjenige, den du suchst? Ganz allein?«
Ein tödlich kalter Wind strich an ihnen vorbei, und Valindras Lächeln wurde breiter, als sie nickte. »Warum sollte sie nicht allein sein?«
»Sie?« Jestry schlang die Arme fest um den Körper, um die Kälte abzuwehren. Der Pfad zum Haus war kaum als Weg zu bezeichnen, und innerhalb mehrerer hundert Schritte rundherum war kein weiteres Haus zu sehen. Im Wald von Niewinter herrschte Krieg, auf den Straßen wimmelte es von Banditen, und viele derjenigen, die Niewinter wieder aufbauen wollten, waren nicht gerade
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