Niewinter 4: Die letzte Grenze
ließ Bryn Shanders Tor erbeben, die Steine bersten und die Angeln der Torflügel brechen, die einstürzten und rasch vom Dämonenfeuer verzehrt wurden. Eine Wache auf der Seite schleuderte ihren Speer – zum Ruhm von Bryn Shander und Zehn-Städte. Die Waffe verschwand in der Rauchwolke um den Dämon, doch ob sie etwas ausgerichtet hatte, würde die Frau niemals erfahren. Denn während der Speer noch flog, ließ der Dämon seine lange Peitsche knallen und packte sie damit um den Leib. Mit einem Ruck riss Errtu sie von den Beinen und ließ sie von der Mauer stürzen, in die mörderischen Flammen, die seine große Gestalt umgaben.
Danach dachte er nicht mehr an sie, sondern schickte seine mächtigen Untergebenen vor, drei große Glabrezu-Dämonen. Die imposanten Zweibeiner von doppelter Mannshöhe sprangen bereitwillig durch die Bresche in die Stadt, und jeder von ihnen schwenkte dabei vier dicke Arme. Zwei davon endeten in riesigen Scheren, die einen Menschen mit Leichtigkeit halbieren konnten, wie ein unglücklicher Soldat von Bryn Shander fast augenblicklich feststellen musste.
»Ich will den Drow!«, brüllte Errtu. »Schickt ihn zu mir, sonst lege ich eure Stadt in Trümmer!«
Unweit der beginnenden Schlacht verstanden Tiago und seine Begleiter, die sich mit Dämonen gut auskannten, dass dies keine leere Drohung war.
»Ein Balor«, flüsterte Saribel kaum hörbar.
»Auf der Jagd nach uns?«, fügte Ravel verwirrt hinzu.
»Scheint so«, erwiderte Tiago. »Und obwohl mir das Gemetzel wirklich gefällt, sollten wir vielleicht einmal nachsehen, was er von uns will. Vermutlich nichts Gutes, also müssen wir ihn vielleicht töten. Zu schade!«
Seine Lässigkeit und seine Ruhe angesichts dieses mächtigen Gegners ließen die anderen mit neuem Respekt zu dem jungen Baenre aufschauen und automatisch nicken.
Tiago wandte sich Saribel zu. »Schützt mich vor dem Dämonenfeuer«, wies er sie an. »Schützt uns alle. Nehmen wir dem Balor zunächst seine wichtigste Waffe.«
Während Saribel und die Priesterinnen damit begannen, die Gruppe mit zahlreichen Schutzrunen zu versehen, bereitete Tiago mit Ravel, Jearth und Yerrininae den Schlachtplan vor. Kurze Zeit später ritt Tiago auf Byok an die Spitze seiner Abteilung. Er sah, wie der riesige Balor den Glabrezu in die Stadt folgte, und hörte die panischen Schreie an der Mauer von Bryn Shander. Er zeigte auf die Mauer, zwanzig Fuß südwärts von dem zerstörten Tor, und spornte Byok an. Gleich darauf folgten die Drow-Krieger und Saribels Priesterinnen unter der Führung von Jearth. Die Drider begleiteten die Gruppe ein Stück weit, bogen aber bald nach Westen ab, wo sie ihr Tempo erhöhten und eilig im Bogen zur anderen Seite des Tores weiterliefen.
Ravel und die anderen Zauberspinner blieben zurück. Sie nahmen ihre Kampfformation ein, in der der adlige Drow die Nabe des »Rades« bildete. Als die anderen fünf ihr langes Zauberlied anstimmten, öffnete Ravel mit dem ersten Spruch nördlich von ihnen unmittelbar vor dem zerschmetterten Tor von Bryn Shander ein Dimensionsportal. Als er damit fertig war, knisterten bereits die ersten Funken der anschwellenden Energie um ihn herum.
Tiago Baenre lenkte seine Echse in hohem Tempo auf die Stadtmauer von Bryn Shander zu, wo Byok auf die Steine sprang und diese so rasch hochrannte, dass ein Zuschauer die Mauer für eine Illusion hätte halten können, bestenfalls einen leicht ansteigenden Hügel. Im Nu war Tiago oben angelangt, lief ein Stück weiter und betrachtete das Schlachtfeld, während Jearth und die anderen sich draußen vor der Mauer versammelten.
Die Bürger von Bryn Shander waren herbeigelaufen, um den Dämonen Widerstand zu leisten, und man musste ihnen zugutehalten, dass sie nicht das Weite suchten, als der mächtige Balor und die tückischen Glabrezu tiefe Lücken in ihre Reihen schlugen. Plötzlich stürmte ein Dutzend Krieger abseits des Hauptschauplatzes auf einen bestimmten Glabrezu zu. Einige brachen aus Türen hervor, warfen Speere und lenkten den Dämon so ab, während andere von den Dächern sprangen und wagemutig auf dem Ungeheuer landeten.
Fast augenblicklich sprühte Blut durch die Luft, und aus den zwölf Kriegern wurden erst zehn, dann nur noch sechs. Der Glabrezu brüllte und schlug um sich, stieß mit den Hörnern und schnappte mit seinem Hundegebiss und den tödlichen Scheren zu. Aber trotz allem drückte ihn das Gewicht der tapferen Bürger zu Boden, und bald waren die Speerspitzen und
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