Niewinter 4: Die letzte Grenze
Stab mit einem Zauber belegt war, der untote Kreaturen aufspürte. An denen war in dieser Gegend kein Mangel, seit Sylora den verfluchten Todesring erschaffen hatte.
Schließlich hielt Drizzt ihr Reittier an und sah Dahlia ins Gesicht. Sie schien seinen Blick kaum zu registrieren, so stark war sie auf den Stab konzentriert. »Warum ist dir das plötzlich so wichtig?«, wollte er wissen.
Dahlia sah ihn verdutzt an. Es verstrichen einige Augenblicke, ehe sie antwortete. »Findest du, ein rechtschaffener Bürger sollte einen Vampir frei herumlaufen lassen?«
»Der Wald steckt voller Gefahren, ob mit oder ohne Vampir.«
»Und darum möchte Drizzt Do’Urden die Sache auf sich beruhen lassen?«, fragte Dahlia schnippisch. »Ich dachte, du bist ein Held.«
Drizzt grinste. Er war froh, dass Dahlia sich auf das spielerische Wortgefecht einließ. Von Zeit zu Zeit deutete sie an, dass weit mehr zwischen ihnen sein könnte. Zu solchen Zeiten wagte Drizzt zu hoffen, dass er diese neuen Gefährten zu einer Gruppe zusammenschmieden konnte, die seiner Erinnerungen würdig war.
Da veränderte sich Dahlias Miene abrupt. »Tu’s mir zuliebe«, bat sie ernst.
»Glaubst du, es ist dein alter Begleiter?«
»Dor’crae?« Dahlias Überraschung war nicht gespielt, so viel erkannte Drizzt. »Wohl kaum. Dem habe ich zum Glück ein gründliches Ende bereitet, schon vergessen?«
Natürlich hatte Drizzt es nicht vergessen. Dahlia hatte gegen Dor’crae gekämpft, während neben ihnen die Zwerge starben. Sie hatte den Vampir aus dem Vorraum getrieben, und so war er mit tödlichen Verletzungen in die reißende Strömung der Wasserelementare gestürzt, welche die Feuergrube des Urelementars in Gauntlgrym bewachten. Es hatte den Anschein gehabt, als hätte die magische Gewalt des Wassers den Vampir vernichtet.
Also war es nicht der Gedanke an Dor’crae, der Dahlia antrieb, begriff Drizzt, durchschaute aber immer noch nicht, worum es ihr ging. Vielleicht glaubte sie, dass dieser Effron, ihr Sohn, hinter dem Angriff steckte.
Diese Richtung mochten seine Gedanken allerdings nicht weiterverfolgen. Er hing immer noch in der Erinnerung an die letzten Augenblicke von Dor’crae fest. Wie sollte Drizzt jenen schrecklichen Moment vergessen können, in dem er die Grube überwunden hatte, in den Vorraum stürmte und dort seine Freunde sterbend an dem zentralen Hebel von Gauntlgrym vorfand?
»Er kann es also nicht sein. Wir sollten …« Drizzt brach ab. Seine Augen wurden größer, weil er daran dachte, was sich nach Dor’craes Verschwinden am Hebel abgespielt hatte. Er rief sich Bruenors letzte Worte ins Gedächtnis, so liebevoll und traurig, an die er sich ewig erinnern würde, dachte an Bruenors raschen Tod, daran, wie seine grauen Augen erloschen waren, und an Thibbledorf Pwent.
Thibbledorf Pwent.
Der Drow dachte an das zerrissene Zelt im Goblin-Lager und die Verletzungen der Goblins. Vampir oder Schlachtenwüter, das war die Frage gewesen.
Die nagenden Gedanken widersprachen sich nicht mehr. Drizzt hatte seine Antwort gefunden. Er lag mit seiner Vermutung ebenso richtig wie Dahlia.
Ohne ein weiteres Wort trieb er Andahar vorwärts.
»Danke«, flüsterte sie ihm zu. Das war überflüssig, denn diesmal hätte Drizzt denselben Weg auch allein eingeschlagen.
Als sie die Bäume erreichten, wurden sie langsamer, denn Drizzt musste einen Weg durch das Unterholz suchen. Doch kaum hatten sie das Dickicht betreten, als Dahlias Stab auch schon heller leuchtete. Ein bläulich grauer Nebelfaden trat aus ihm hervor und wehte in den Wald hinein.
»Na, das ist ja mal interessant«, stellte Drizzt fest.
»Hinterher«, sagte Dahlia.
Der Nebelfaden dehnte sich vor ihnen wie ein Seil, das ihnen den Weg durch den Wald wies. Hinter einigen Eichen schien sie ein Felsen zu erwarten.
Plötzlich blieb Andahar schnaubend stehen. Drizzt keuchte auf. Vor ihnen befand sich kein Felsen, sondern ein großes, merkwürdiges Ungetüm aus wild gewordener Magie.
Halb Bär, halb Vogel.
»Wir ziehen also nach Norden«, sagte Afafrenfere. »Kennst du dich dort aus?«
Artemis Entreri warf seinen Packsack über den Sattel und sprang auf seinen Nachtmahr. »Der Ritt dauert nur eine Stunde«, erklärte er.
»Ja, und mein Freund läuft schneller als jeder andere«, sagte Ambergris. »Aber ich mit meinen kurzen Beinen sollte lieber reiten.«
Entreri nickte, lenkte sein Reittier vorwärts und sagte nach hinten gewandt: »Ein Jammer, dass du kein Pferd hast oder
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