Nigger Heaven - Roman
exklusiv. Auch die Sportsleute, die sich fürs Boxen oder das Glücksspiel interessierten, blieben eigentlich unter ihresgleichen. Bei anderen Tanzveranstaltungen aber vermischten sich Intellektuelle und die Schicken und Smarten wiederum so sehr, wie es bei anderen Abendveranstaltungen oder kleinen Gesellschaften nie geschah.
Der Wohltätigkeitsball, den jedes Jahr in der Weihnachtswoche eine Gruppe von bekannten Damen der Gesellschaft veranstaltete, konnte von jedem besucht werden, der den Eintritt bezahlte. Da der löbliche Zweck des Balls darin bestand, Geld für bestimmte öffentliche Einrichtungen zu sammeln und da die Musik immer hervorragend war, trafen sich hier Leute aus allen Kreisen; selbst einige Mitglieder der feinen Brooklyner Gesellschaft verließen deswegen die Behaglichkeit ihrer schönen frühviktorianischen Häuser. Ein aufmerksamer Beobachter konnte allerdings feststellen, dass es zwar an der Kasse keine Rangunterschiede gab, dass aber die Angehörigen einer gesellschaftlichen Gruppe selten mit denen einer anderen Kaste tanzten, während die Inhaber von Logen ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechend ganz unter sich blieben und zum Teil sogar gar nicht auf dem Tanzparkett erschienen.
Es war nach Mitternacht, als Mary und Byron sich ins Getümmel mischten und sofort den glattpolierten Tanzboden betraten, um sich im Rhythmus von Sweet and Low Down zu wiegen, das mit ekstatischer Hingabe von Fletcher Hendersons Kapelle gespielt wurde. Während ihres ersten Tanzes nickte Mary immer wieder anderen Leuten zu. Sie glaubte, noch nie so viele ihrer Freunde und Bekannten bei einer Party getroffen zu haben. In einer Loge, umgeben von vergnügten Leuten, saß Adora in einem schwarzen Paillettenkleid, eine rote Mohnblume am Gürtel. Mrs Albright saß allein in einer anderen, Hester war nicht zu sehen. Dr. Lister tanzte mit seiner Frau. Sergia Sawyer schwofte durch den Saal und beobachtete über Irwin Latrobes Schulter hinweg die Anwesenden. Was für eine Menge Klatsch sie morgen würde verbreiten können! Dick Sill tanzte mit einer unbekannten Blondine in himbeerrotem Samt, die zwar sehr hellhäutig war, aber in ihren Bewegungen so negroid wirkte, dass man unmöglich sagen konnte, ob sie weiß oder eine Farbige war. Carmen Fisher, die ein mit Perlen besticktes goldenes Kleid trug, schlang ihre braunen Arme schmachtend um die Schultern von Guymon Hooker. Galva Waldeck trug eine orangefarbene Velázquez-Robe mit breiten Spitzenvolants und tanzte mit Léon Cazique. Mary fragte sich, ob es sich hier um eine Romanze handelte. Flüchtig erblickte sie Sylvia Hawthorne, die sehr müde aussah und mit ihrem Mann tanzte. Rumsey Meadows jedenfalls war nicht in der Nähe. Mary sah Ray und Wren Hurley; sie hatten wohl mit dem Auto die fünfzig Meilen von New Jersey zurückgelegt, wo er der Präsident eines Colleges war. Montrose Esbon, der in Greenwich Village wohnte, schob sich gechickt durch die Tanzenden und hielt Yuma Niland in den Armen. Mimi Daquin, die hübsche Kreolin, deren absinthgrünes Kleid ihr ovales Gesicht, den Milchteint und das rotgoldene Haar schön zur Geltung brachte, tanzte mit Weston Underwood … Und es gab noch Hunderte anderer Menschen. In der Mitte der Decke hing eine riesige, geschlossene Silberglocke, die die ständig wechselnden Farben reflektierte, die in breiten Lichtstrahlen von den Kalziumlampen in den Ecken des Saals ausgesandt wurden. Diese Lichter färbten das Gold und das Bronze in den exquisiten Brokatkleidern. Silber und Kupfer glitzerten, Satin und Samt glänzten mit Hilfe dieser künstlichen Beleuchtung. Mary faszinierte wie immer die unterschiedlichen Farbtöne in den Gesichtern der Männer, den Schultern der Frauen: schwarze Schultern, braune Schultern, gelbbraune Schultern, elfenbeinfarbene Schultern.
Als die Musik aufhörte – sie hatten die letzten beiden Zugaben noch getanzt –, erstrahlte der Saal in blendend weißem Licht. Mary bemerkte jetzt noch viele andere Bekannte. Sie nickte Mrs Sumner und Campaspe Lorillard zu, die nebeneinander in einer Loge saßen. Dann stand sie Hester Albright gegenüber, der sie vorher nicht begegnet war und die wie immer von Orville Snodes begleitet wurde. Sie stellte Byron das Paar vor.
»Was für eine schöne Party!«, seufzte Hester ekstatisch. »Alle sehen so gut aus!«
Mary sah, dass Hester ein schwarz- und gelbgestreiftes Satinkleid mit engen, langen Ärmeln und einer Schleppe im Princesse-Stil trug, das bei einer anderen Frau
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