Nigger Heaven - Roman
nicht in Ruhe lassen oder uns ignorieren? Können wir denn nicht einfach leben? Können wir nicht atmen, ohne diesen Beleidigungen ausgesetzt zu sein? Blicke! Wörter! Die Peitsche wäre mir lieber! Sklaverei! Damals wussten wir wenigstens, wo wir hingehörten!«
Sie gingen langsam weiter.
»Mary«, sagte Byron ruhig, »mir geschehen solche Dinge jeden Tag.«
»Du Ärmster! Ich hatte Angst, dich danach zu fragen.«
»Ich antworte auf Stellenangebote für Schreiber, für Sekretäre. Ich werde von Büroangestellten, ja sogar von unseren eigenen Leuten beleidigt, von Dienstmännern, Liftboys. ›Du bildest dir wohl was ein, du Neger‹, sagte neulich einer zu mir. ›Warum arbeitest du nicht da, wo du hingehörst?‹«
»Das ist das Schlimmste, was unsere eigenen Leute tun«, sagte Mary. »Weißt du, dass die Underwoods letzte Woche mit weißen Freunden Downtown essen waren und dass am nächsten Morgen die farbigen Angestellten kündigten? Sie sagten, sie würden keine Nigger bedienen!«
»Manchmal lachen sie mich aus«, sagte Byron mit halberstickter Stimme.
»Sie wissen nicht, was sie tun«, tröstete ihn Mary, »diese anderen, sie wissen es eben nicht.«
»Das macht es doch nur noch schlimmer!«, rief Byron leidenschaftlich. »Ich gehe in ein Büro, in dem ein weißer Mann oder eine weiße Frau am Empfang sitzen. ›Was wollen Sie denn hier?‹, fragen sie hämisch. ›Sie brauchen sich nicht vorzustellen. Er will keine Nigger !‹«
»Ich habe das durchgemacht, als ich mich in der Bücherei bewarb«, gestand Mary. »Zuerst wurde ich gar nicht erst vorgelassen. Ich bekam von der Leitung keinen Vorstellungstermin. Schließlich kam es wegen eines Schreibens von Mr Sumner an einen einflussreichen Freund zu einem Vorstellungsgespräch. Ich muss zugeben, dass sie jetzt sehr nett zu mir sind, aber befördert werde ich nicht. Sie befördern die weißen Kolleginnen.«
»Was können wir tun?«, fragte Byron, während er die Hände zu Fäusten ballte. »Wir leben hier in einer fremden Welt. Wir denken, wir fühlen. Wir tun unser Bestes, um uns anzupassen. Wir wollen gar nichts von ihnen. Wir wollen nur in Ruhe gelassen werden, Geld verdienen und anständig leben können.«
»Ich glaube«, sagte Mary, »es ist ihnen wirklich lieber, wenn wir nicht ehrbar sind.«
Schweigend gingen sie die 7 th Avenue hinauf. Die Straßen waren voller Fußgänger, Weißen und Farbigen, die von der Arbeit nach Hause eilten. Als sie sich der 125 th Street näherten, begannen die Schwarzen zu überwiegen. Nachdem sie diese Straße hinter sich gelassen hatten, begegneten sie nur noch Schwarzen. Sie hatten die farbige Grenzlinie überschritten.
»Nigger Heaven!«, stöhnte Byron. »Das Negerparadies! Das ist Harlem. Wir sitzen auf unseren billigen Plätzen oben in diesem Theater namens New York und sehen zu, wie die weiße Welt unten auf den guten Plätzen hockt. Manchmal wenden sie uns ihre Gesichter zu, ihre harten, grausamen Gesichter, um zu lachen oder zu spotten, aber nie winken sie uns zu sich hinunter. Es scheint ihnen nie aufzufallen, dass dieses Negerparadies überfüllt ist, dass es keinen freien Platz mehr gibt und dass etwas geschehen muss.
Es scheint ihnen auch nie aufzufallen«, fuhr er heftig fort, »dass wir über ihnen sitzen, dass wir sie von oben bombardieren können, dass wir aus diesem Negerparadies ausbrechen und ihre Sitze einnehmen könnten. Nein, davor haben sie keine Angst! Harlem! Das Mekka des Neuen Negers! Großer Gott!«
Kapitel 9 Tanzveranstaltungen jeglicher Couleur waren in Harlem wahrlich keine Neuigkeit. Es war eher die Ausnahme, wenn man an einem Abend keine Möglichkeit zum Tanzen hatte. Da waren zunächst die bescheidenen Partys, zu denen kleine Gruppen von Menschen zum Tanzen in einer kleinen Wohnung eingeladen wurden, wobei man gegen ein Entgelt von fünfzig Cent den Wohnungsinhabern dabei half, die exorbitante Miete zu bezahlen. Es gab auch ähnliche kleine Tanzvergnügen ohne finanzielle Beteiligung, obgleich die Gastgeberin sich nicht beklagte, wenn einer der Gäste eine Flasche Gin beisteuerte. Außerdem konnten ein oder zwei Paare, wenn sie Lust zu tanzen und Geld hatten, ein Tanzlokal besuchen. Und schließlich veranstalteten einund nicht selten auch zweimal pro Woche Gesellschaften, Institutionen oder Klubs eine Tanzveranstaltung in einem der größeren Säle. Diese Bälle waren natürlich von unterschiedlicher Wichtigkeit. Die Partys der Theaterleute waren klein und mehr oder weniger
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