Night Academy 2
du mit deiner Oma zum Arzt?«
»Wahrscheinlich. Sie fährt nicht mehr gern auf dem Highway, also hat sie einige Termine in die Ferien gelegt, damit ich sie fahren kann.«
»Ich fasse es nicht, dass sie dich hinters Steuer lässt.«
Ich zog die Jacke enger um mich. »Hey, ich bin fünfzehn. Das ist fast legal.«
Er prustete los. »Bestimmt kann deine Oma jeden Polizisten bequatschen, damit du keinen Ärger bekommst.«
»Die würden sich nicht trauen«, sagte ich.
»Ich sollte mehr Zeit mit deiner Oma verbringen, die ist tougher als wir beide zusammen.«
Als wir den Hügel erklommen, kamen die Lichter des Res in Sicht. Wir blieben stehen und umarmten einander in der Dunkelheit.
»Sei vorsichtig«, sagte ich.
Er strich mir sanft über die Wange. »Das werde ich«, sagte er. »Versprochen.«
19
A m Freitag zogen Esther, Hennie und ich schwer bepackt mit Säcken voll schmutziger Wäsche unsere Koffer über den Parkplatz der Night Academy und fahndeten im Wirrwarr nach vertrauten Autos. Unser Abschied war nicht gerade liebevoll. Esther war schon den ganzen Morgen schlecht gelaunt. Ihr Haar war zu einem straffen Pferdeschwanz zurückgebunden. Schmal und wunderschön wirkte sie mit ihren großen, traurigen Augen. Bevor wir ihr noch Lebewohl sagen konnten, war sie schon in der Menge verschwunden.
Hennie sah Esther besorgt hinterher. »Ich weiß nicht, was sie vorhat, aber irgendwie habe ich ein ganz schlechtes Gefühl. Nach den Ferien müssen wir gut auf sie achtgeben.«
»Und was ist mit dir?« Ich stieß ihr in die Rippen, während wir die Koffer weiter über den unebenen Schotter zerrten. »Was hast du so geplant?«
Natürlich zielte meine Frage auf Yashir ab, der gerade auf uns zusteuerte. Er trug sein einziges Paar Jeans ohne Löcher, vermutlich in der Hoffnung, Hennies Eltern kennenzulernen.
Hennie kniff die Augen zusammen. »Ich weiß nicht.«
»Hast du es ihm schon gestanden?«
»Was? Dass ich meinen Eltern noch nichts von ihm gesagt habe? Natürlich nicht.«
»Meinst du nicht, es kommt raus, wenn sie gleich von all den Dates anfangen, die sie in den Ferien für dich ausgemacht haben?«
Daraufhin gab Hennie einen erstickten Laut von sich. »Das sind ja keine richtigen Dates.«
Ich hob den Wäschesack auf die andere Schulter. »Die wollen deine Hochzeit arrangieren, Hennie. Wie willst du das denn sonst nennen?«
»Ein Essen unter Freunden?«, sagte sie hoffnungsvoll. Als ich vielsagend die Brauen hob, seufzte sie: »Kann ich nicht so tun, als hätte ich ihn nicht gesehen, und wegrennen?«
Mit einem Blick auf ihren Koffer sagte ich: »Du bist nicht gerade eine begnadete Läuferin, und dein Koffer ist ziemlich schwer. Die Chancen stehen schlecht.«
Im nächsten Moment erblickte sie schon ihren Vater und stöhnte laut auf, lächelnd winkte er ihr vom anderen Ende des Parkplatzes zu, neben ihm stand ihre Mutter, die ebenso winzig und schön war wie ihre Tochter. »Dancia, die freuen sich so, mich zu sehen. Was soll ich denen bloß sagen?« Sie zog die Nase kraus. »Oh, nein. Die haben bestimmt den Nachbarssohn im Auge. Ich bin mir ganz sicher. Wetten, dass wir heute mit ihm zu Abend essen!«
»Du musst ihnen reinen Wein einschenken«, sagte ich. Hennies Gabe wurde immer stärker. In der letzten Woche hatte sie, ohne sich groß anzustrengen, quer durchs Zimmer die Gefühle anderer Schüler gelesen und danach wie immer behauptet, sie hätte einfach »gut geraten«.
Hennie umarmte mich. »Ich kann das einfach nicht. Sag Yashir, es tut mir leid. Bitte!« Und damit sprintete sie über den Parkplatz. Besser gesagt, sie stolperte durch die Menge und zerrte dabei den schweren Rollkoffer hinter sich her.
Als ich mich umdrehte, stand Yashir hinter mir und blickte ihr nach.
»Sie hatte Angst, ihre Eltern wären sauer, wenn sie sich nicht beeilt«, sagte ich lahm. »Sie hat mich gebeten, dir Tschüss zu sagen.«
»Sie wird es ihnen nie sagen, oder?«, fragte er. »Ihre Eltern werden sie in den Ferien mit irgendjemandem verkuppeln, und dann ist Schluss mit uns.« Traurig hing die kleine Hantel in seiner Augenbraue herunter.
Unbeholfen täschelte ich ihm die Schulter. »Ihre Eltern haben eben sehr altmodische Ansichten. Sie weiß nicht, wie sie es ihnen sagen soll. Das heißt doch nicht, dass sie mit dir Schluss macht.«
Eine große Frau mit Nasenring und Haaren bis zur Taille rief nach Yashir. »Ist das deine Mom?«, fragte ich.
Deprimiert nickte er. »Das war’s dann wohl.«
Ich schüttelte den Kopf.
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